Auferstehung erhofft

■ Auch nach einem außergewöhnlichen Masters mit vielen Überraschungen sind die Probleme im Frauentennis immens

Berlin (taz) – Nur einmal war der riesenhafte Madison Square Garden ausverkauft: Zwar wurde an diesem Tag auch das Finale des Masters gespielt, aber am Beifall ließ sich abhören, daß viele gekommen waren, um den offiziellen Abschied von Martina Navratilova mitzufeiern. Das Endspiel, das Gabriela Sabatini 6:3, 6:2, 6:4 gegen eine überforderte Lindsay Davenport gewann, lief da fast unter der Rubrik „Nebensächliches“. Zum krönend gedachten Saisonabschluß wurde die Krise im Frauentennis endgültig unübersehbar.

Da versammeln sich die 16 Besten der Weltrangliste, und trotzdem wird die Hütte nicht voll. Reihenweise scheiden die Favoritinnen aus, werden dem Publikum die Überraschungen geboten, die im so berechenbaren Frauen-Circuit sonst vermißt werden, einer der Publikumslieblinge spielt endlich wieder in alter Form, anstatt nur mehr als Parfüm-Promoterin zu reüssieren – und der Hauptsponsor verabschiedet sich.

Aber wenigstens Sabatini war zufrieden. Der Argentinierin war zweieinhalb Jahre lang kein einziger Turniersieg mehr geglückt, sogar ans Aufhören hatte sie gedacht. Und jetzt mit einem beckermäßigen Comeback gleich das Masters, zum zweiten Mal nach 1988? Die Erklärung für die plötzliche Leistungssteigerung der 24jährigen, die unter anderem dafür sorgte, daß Martina Navratilova ihre Karriere schon in der ersten Runde ihres allerletzten Turniers beendete, fand Trainer Juan Nunez an vertrautem Ort: „Sie hatte das spielerische Potential, aber stand sich mental selbst im Weg.“

Aber die Krise repräsentiert kaum jemand besser als die Finalgegnerin. Lindsay Davenport ist die fleischgewordene Bestätigung aller Vorurteile und sexistischen Vorwürfe, die gegen das Frauentennis erhoben wurden und vor Jahren in der Bemerkung des Holländers Richard Krajicek gipfelten, der „untrainierte, fette Schweine“ in der Weltklasse ausmachte. Die 18jährige verhehlt weder ihre Vorliebe für deftiges Fast food noch ihre Probleme mit gezieltem Ausdauer- und Krafttraining. So bewegt „die Pummelige“ (Die Welt) geschätzte 15 Kilo Übergewicht „etwas schwerfällig“ (dpa) über den Platz. Und seitdem die absolute Spitze entweder ganz entschwindet (Seles, Navratilova) oder wegen Verletzungen (Graf) nicht mehr so kann, wie sie möchte, sinkt nicht nur das sportliche Niveau, sondern auch das Interesse. Da hilft auch die wundersame Auferstehung des Publikumslieblings Sabatini nicht viel.

Rettung fürs Geschäft ist trotzdem nicht in Sicht, obwohl erst vor wenigen Monaten mit der Schweizerin Martina Hingis und der Amerikanerin Venus Williams zwei neue, vielversprechende Talente im Geschäft angetreten sind. Die wirtschaftliche Rezession trifft die Women's Tennis Association (WTA) ungleich härter als das männliche Pendant, die ATP. Beide Hauptsponsoren der Frauen-Tour haben sich abgesetzt, und auch sechs große Turniere haben für 1995 noch keinen lokalen Werbepartner. „Wir können die kommende Saison auch ohne Sponsor überleben, unser Budget ist gesichert“, glänzt WTA-Chefin Anne Person Worcester mit Durchhalteparolen, aber es scheint wohl klar, daß auf WTA-Präsidentin Martina Navratilova mehr Arbeit zukommt, als der lieb sein dürfte. Vielleicht fällt schon ihr für Januar angesetzter Helikopter-Skiurlaub aus. Thomas Winkler