Hektische Verhandlungen in Gaza

Widersprüchliche Angaben über eine „Waffenruhe“ zwischen Arafat und radikalen Palästinensern / Arabische Vermittler aus Israel haben Teilerfolge zu verzeichnen  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

In Gaza-Stadt liefen die Verhandlungen zwischen der PLO und Vertretern radikaler Palästinensergruppen gestern auf Hochtouren. Über das Zustandekommen einer „Waffenruhe“ lagen jedoch unterschiedliche Meldungen vor. Nach Angaben von Vermittlern ist ein solches Abkommen praktisch unter Dach und Fach. Die islamistische Hamas-Bewegung bestritt jedoch, daß es eine formelle Übereinkunft gebe, und forderte, PLO- Chef Jassir Arafat solle zunächst die Verantwortung für die Unruhen in Gaza übernehmen, bei denen am vergangenen Freitag 14 Menschen erschossen wurden.

Das Vermittlerteam besteht aus Vertretern aller politischen Parteien der arabischen Minderheit in Israel. Sie haben sich zur Aufgabe gemacht, möglichst rasch eine Art Waffenstillstandsabkommen zwischen den feindlichen Gruppen im palästinensischen Lager herzustellen. Die Vermittler erklärten gestern, daß ihre Bemühungen „so gut wie“ geglückt seien. Nach langen Verhandlungen hätten alle Seiten einer aus 8 Punkten bestehenden gemeinsamen Erklärung „im großen und ganzen“ bereits zugestimmt. Jedenfalls haben die Vermittler einstweilen das grüne Licht aller Konfliktparteien erhalten, die 8 Punkte wenigstens als Aufruf im eigenen Namen zu veröffentlichen.

Das Vermittlerteam appelliert demnach an alle Seiten, jedweder Gewalt zu entsagen und Differenzen ausschließlich auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Die Bildung eines politischen und eines juridischen Untersuchungsausschusses unter Beteiligung aller Fraktionen zur Klärung der Verantwortung für die blutigen Zusammenstöße wird begrüßt. Die Entscheidungen der beiden Ausschüsse sollen veröffentlicht werden.

Weiter wird in dem Dokument der Beschluß der palästinensischen Selbstverwaltungsbehörde begrüßt, alle im Zusammenhang mit den Ereignissen festgenommenen unschuldigen Personen aus der Haft zu entlassen. Ein „Notstandsrat“, wieder unter Beteiligung aller Seiten, soll zukünftige Krisensituationen rechtzeitig entschärfen. Gleichzeitig verpflichten sich alle Seiten, keine provokativen Schritte zu unternehmen, „welche die Einheit gefährden können“. Allgemein akzeptiert wurde weiter der Beschluß, alle Institutionen und Organisationen der Autonomiebehörden von Kollaborateuren zu „säubern“.

Das Vermittlerteam gab schließlich bekannt, daß seine ständigen Vertreter weiterhin laufend mit der Selbstverwaltungsbehörde zusammenarbeiten werden, um die Verwirklichung der Absprachen, die in dem Aufruf enthalten sind, durchzusetzen.

Solange es jedoch keine bindenden Abkommen zwischen den Fraktionen selbst gibt, bleibt der Konflikt weiterhin akut und gefährlich. Auch ein allumfassender, formeller „Waffenstillstand“, der von allen Seiten unterzeichnet wird, kann die Probleme nicht lösen und bietet nicht einmal minimale Garantien dafür, daß sich die palästinensischen Behörden oder Oppositions-Organisationen respektive deren militärische Formationen tatsächlich an die festgelegten Regeln halten. Jedenfalls bleiben sowohl die politisch-ideologischen Differenzen – insbesondere zwischen den islamistischen Bewegungen und der von Arafats Al Fatah gestützten Autonomiebehörde – als auch die sozioökonomischen Wurzeln des Konflikts unverändert bestehen. Die seit den Ereignissen des Wochenendes weitverbreitete Wut, Vergeltungswünsche und -ängste führen dazu, daß derlei Faktoren deutlicher zutage treten. Die Spannung in Gaza hält also weiter an. Dies um so mehr, als die am Konflikt beteiligten Parteien sich vor allem damit beschäftigen, Indizien für die Schuld der Gegner und ihrer diversen Helfershelfer außerhalb der Autonomiegebiete zu sammeln und zu veröffentlichen.

So versuchte Arafat der Presse anhand von Röntgenbildern einiger der Opfer zu beweisen, daß die Munition (Dumdum– und Plastikgeschosse) von der palästinensischen Polizei nicht verwendet werden. Dies soll die eigene Polizei entlasten und gleichzeitig Arafats Behauptung untermauern, daß „externe Elemente“ für das Blutbad verantwortlich und an ihm beteiligt waren.

Inzwischen wurden die bereits im Anfangsstadium festgefahrenen und wiederholt unterbrochenen Kairoer Verhandlungen zwischen Israel und der PLO über Wahlen der Palästinenser in der Westbank erneut verschoben. Arafat drohte jetzt in einem Interview mit der ägyptischen Zeitung Al Ahram, Wahlen auch ohne das Einverständnis Israels abzuhalten, wenn Israel die Angelegenheit weiter hinziehe und auf die palästinensischen Vorschläge nicht eingehe. Dem Osloer Abkommen zufolge waren die Wahlen bereits vor mehr als fünf Monaten fällig. Da die Westbank weiterhin von Israel besetzt ist, ist es nicht denkbar, daß irgendwelche Wahlen ohne das Einverständnis der Besatzungsmacht stattfinden.