: „Eine Ohrfeige für Bayerns Demokratie“
■ Drei Volksbegehren abgeschmettert
Nürnberg (taz) – „Bayern ist ein Volksstaat. Die Gesetze werden vom Landtag oder vom Volk (Volksentscheid) beschlossen.“ Als am 2. Dezember 1946 die Verfassung des Freistaates Bayern nach einem Volksentscheid in Kraft trat, galten die darin enthaltenen Instrumente der Volksgesetzgebung als vorbildlich. Keine andere Länderverfassung ging in den Bestimmungen über Volksentscheide und -begehren so weit. Knapp fünfzig Jahre später setzt der bayerische Verfassungsgerichtshof alles daran, dies zu korrigieren. Binnen zweier Wochen lehnten die obersten bayerischen Richter die Zulassung von drei Volksbegehren ab. „Faire Volksentscheide“, „Bessere Schulen“ und „Keine Klasse über 30“ – alle verfassungswidrig. Die Initiatoren der Volksentscheide geben jedoch nicht auf. „Der Kampf geht weiter“, beschlossen sie am Sonntag in Nürnberg.
Am 14. November erwischte es zunächst das Volksbegehren „Faire Volksentscheide im Land“. Die Initiative „Mehr Demokratie“ wollte damit die Hürden für die in der Verfassung vorgesehenen Volksbegehren senken. Neben der Verlängerung der Eintragungsfristen sollte unter anderem eine „Volksinitiative“ verankert werden. Der Landtag sollte sich auf Antrag noch vor dem Volksbegehren mit dem Gesetzentwurf befassen müssen. Die erste Hürde für das Volksbegehren wurde mit der Sammlung von über 35.000 Unterschriften im Juli locker genommen. Die zweite war dann zu hoch. Das Innenministerium beanstandete das Volksbegehren, so mußten die Verfassungsrichter entscheiden. Die erklärten die „Volksinitiative“ flugs zum Herzstück des Begehrens. Da dieses neue Instrument aber in der Verfassung nicht vorgesehen sei, lehnten sie gleich das gesamte Volksbegehren ab. „Das ist eine Ohrfeige für die Demokratie“, zeigte sich Michael Seipel von „Mehr Demokratie“ geschockt.
Vergangenen Donnerstag kassierten die Hüter der bayerischen Verfassung gleich zwei Volksbegehren. Gestartet mit über 130.000 Unterschriften, glaubten die Initiatoren von „Bessere Schulen“ und „Keine Klassen über 30“ fest an einen Erfolg. Doch auch sie hatten nicht mit den obersten Richtern gerechnet. Die Obergrenze für die Klassenstärken greife in die verfassungsmäßig garantierte Haushaltshoheit des Landtags ein, eine Demokratisierung der Schule verstoße gegen die dem Staat vorbehaltene Schulaufsicht, und die Abschaffung der Schülerzeitungszensur widerspreche gar dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag, heißt es im Urteil.
Urteil ist Beitrag zum „Tod der Volksgesetzgebung“
Während Kultusminister Zehetmair darauf „außerordentlich dankbar“ reagierte, sah die SPD in dem Urteil einen „Beitrag zum Tod der Volksgesetzgebung“. Es gebe kaum einen Gesetzentwurf, der nicht die Staatsfinanzen tangiere. Für Bayerns DGB-Chef Fritz Schösser hat mit dem Richterspruch „obrigkeitsstaatliches Denken“ gesiegt. Thomas Mayer, Vertrauensmann von „Mehr Demokratie“, errechnete, daß 86 Prozent der Verfassungsrichter CSU- nah seien. Da die Richter im Gegensatz zu den Bundes- und Landesverfassungsgerichten nur mit einfacher Mehrheit gewählt würden, will Richard Sigel, Vorsitzender der GEW in Bayern, nun die Zusammensetzung des Gerichts und die Unabhängigkeit der Richter vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen.
Die Initiative „Mehr Demokratie“ will sich jetzt auf das einzig noch überlebende Volksbegehren konzentrieren, mit dem kommunale Bürgerentscheide durchgesetzt werden sollen. „So schnell lassen wir uns nicht kleinkriegen“, betonte Michael Seipel. Bernd Siegler
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