Islamische Republik

■ Tschetscheniens Präsident Dudajew sucht Rettung beim islamistischen Lager

Moskau (taz) – Der Präsident der kleinen nordkaukasischen Republik Tschetschenien, Dschohar Dudajew, hat vor Stammesführern und Vertretern des geistigen und politischen Lebens die Umwandlung der Republik in einen islamischen Staat auf der Grundlage der Scharia, des islamischen Rechtes, ausgerufen. Binnen zwei Wochen soll eine entsprechende Gesetzesinitiative vorgelegt werden.

Tschetschenien hatte sich 1991 von Moskau losgesagt und seither, ohne von irgendeinem Staat anerkannt worden zu sein, eine eigenständige Politik zu betreiben versucht. Insbesondere Rußland unterstützt zunehmend die tschetschenische Opposition, die den Rücktritt des Präsidenten fordert. Als in der vergangenen Woche ein Sprengsatz im fünften Stock des Präsidentensitzes in der Hauptstadt Grosnij explodierte, beschuldigten zahlreiche Regierungsanhänger Rußland, für Waffenlieferungen an die Rebellen verantwortlich zu sein. Offenkundig spekuliert der Präsident mit seinem Vorschlag auf Hilfe aus der islamischen Welt gegen Moskau. Aber auch das islamische Lager ist in sich zerstritten – nicht alle erkennen die Legitimität des Präsidenten an.

Tschetschenien ist die erste territoriale Einheit auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR, die den Islam offiziell zum staatlichen Ordnungsprinzip erheben möchte. Die Tschetschenen gehören der Mehrheitsströmung des Islam an, sie sind Sunniten hanefitischer Rechtsschule. Allerdings spielt die Scharia in Tschetschenien insgesamt eine untergeordnete Rolle, da das Rechtsleben mehr den Normen des Adat folgt, eines traditionellen Stammes-Gewohnheitsrechtes. Die universale islamische Glaubensgemeinschaft stand den lokalen Bindungen an Dorf, Sippe und die örtliche religiöse Autorität nach. Ob russisches Recht oder Scharia bleibt einerlei. Tschetscheniens staatliche Ordnung ist in Auflösung begriffen, da hilft auch neues Recht nicht. Klaus-Helge Donath