„Wir bleiben, den Neonazis zum Trotz“

■ Mölln, zwei Jahre danach: Ein Interview mit den Angehörigen der Opfer Von Kemal Dogan

taz: Wie fühlen Sie sich zwei Jahre nach dem Anschlag und dem Tod ihrer drei Angehörigen?

Faruk Arslan: Unser Schmerz sitzt immer noch unendlich tief. Zwei Jahre ist das her, daß ich meine Mutter, meine Tochter und meine Nichte verloren habe. Für viele ist die Sache vergessen, für uns ist sie aber tagtäglich gegenwärtig.

Havva Arslan: In diesem Feuer, daß uns unsere Mutter, Tochter und Nichte nahm, wird unser Herz immer brennen...ein Leben lang. Sie sind einmal gestorben. Ich sterbe jeden Tag, wenn ich mir ihre Bilder angucke und die Erinnerung an die Brandnacht hochkommt.

Hält die Welle der Solidarität und Unterstützung, die Sie nach dem Anschlag bekamen, noch an?

Havva: Das war nur am Anfang so. Ein paar Wochen lang. Dann waren wir auf uns alleine gestellt. Heute leben wir von der Sozialhilfe, aber die soll auch gekürzt werden.

Faruk: Sie bezahlen für uns alle etwas über 2100 Mark plus die Miete. Nach allen Abzügen haben wir 500 bis 600 Mark zum Leben. Allah soll mich strafen, wenn ich lüge: Seit zwei Jahren habe ich den Kindern nichts Neues zum Anziehen kaufen können. Sie ziehen immer noch die Sachen an, die nach dem Anschlag gespendet wurden.

Das Sozialamt sagt, ich soll für zwei Mark die Stunde arbeiten. Sonst wollen sie mir die Sozialhilfe kürzen. Ich soll in städtischen Anlagen Laub harken und Unrat beseitigen. Mag sein, daß das vom Gesetz her so richtig ist, aber speziell in unserem Fall hätte ich mehr Feinfühligkeit erwartet. Ich finde es erniedrigend für mich, den Dreck der Stadt wegzuräumen, in der ich drei Angehörige verloren habe. Ich bin kein Arbeitsscheuer. Ich selber habe Arbeit gesucht, aber das ist aussichtslos in einer kleinen Stadt wie Mölln.

Leiden Ihre Kinder noch unter den Folgen des Brandanschlags?

Faruk: Mein Sohn Ibrahim hat psychische Schäden und wird therapeutisch behandelt...

Havva: ...er kann nicht mehr ruhig schlafen und klagt immer über Alpträume. Vor Feuer und Dunkelheit hat er höllische Angst und geht alleine nicht auf die Straße. Faruk oder ich müssen ihn immer zur Schule begleiten. Seine türkischen Mitschüler begleiten ihn dann zurück nach Hause.

Er erzählt, daß in der Schule seine deutschen Mitschüler ihn immer mit Anspielungen auf die Brandnacht ärgern. Das sind Kinder, die können nicht wissen, was sie machen. Sie denken, sie machen Spaß. Aber für Ibrahim ist das sehr schlimm. Hier müssen die Lehrer die Kinder aufklären.

Stimmt es, daß Sie wieder in das Brandhaus ziehen werden?

Faruk: Die Stadt will es so. Wir wollen es nicht. Meine Frau hat große Angst und den Kindern kann ich es auch nicht zumuten, aber uns wird keine Wahl gelassen. Ich habe oft gesagt, die sollen uns eine andere Wohnung geben. Sie sagten aber: 'Es gibt keine andere Wohnung.' Was soll ich tun? Ich kann mit den Kindern nicht auf der Staße übernachten.

Havva: Ich habe den Beamten gesagt, daß ich Angst hätte in der Brandwohnung. Aber es half nichts. Aus unserer jetzigen Wohnung wurden wir gekündigt, weil der Besitzer renovieren will.

Haben Sie ernsthaft daran gedacht, aus Mölln wegzugehen?

Faruk: Wenn ich ehrlich sein soll, nach dem Anschlag jeden Tag. Wir fühlen uns unwohl in Mölln. Wir bleiben aber, den Neonazis zum Trotz. Damit die nicht sagen können: 'Seht ihr, wir haben die Türken aus Mölln rausgejagt.'

Manchmal denke ich, wenn ich die Blicke der Leute auf der Straße spüre, sie denken, nicht die Neonazis, sondern meine Familie und ich seien daran schuld, daß „Mölln“ zum Synonym für Deutschlands Rassismus geworden. Immer noch bekommen wir Drohanrufe: 'Jetzt ist die Zeit wieder gekommen. Wir sind die Größten und Hitler ist euer Gott', sagen sie am Telefon. Ich lege auf, aber sie rufen gleich wieder an. Ich habe das der Polizei schriftlich mitgeteilt, aber die zucken nur mit der Achsel und sagen: 'Wir können nichts tun'.

Was haben Sie nach dem Anschlag an materieller Unterstützung erhalten?

Faruk: Wir haben als Familie zusammen 30.000 Mark bekommen. Davon haben wir für Möbel und die Einrichtung unserer jetzigen Wohnung mehr als die Hälfte ausgegeben. Viele denken, wir sind Millionäre, weil wir angeblich die ganzen Spendengelder bekommen haben. Die wurden an alle Betroffenen in gleichen Summen verteilt. Insgesamt waren in der Mühlenstraße und in der Ratzeburger Straße 42 Türken betroffen. Und wir haben alle das gleiche Geld, etwa 3000 Mark pro Kopf, bekommen. Darüberhinaus haben wir nichts bekommen.

Havva: Damals versprach man uns viel. Man werde uns eine gute Wohnung besorgen und sie einrichten. Nichts von dem ist geschehen. In dem verbrannten Haus haben wir nicht nur unsere Angehörigen, sondern auch unser ganzes Hab und Gut verloren.

Das Oberlandesgericht in Schleswig hatte die Täter zu einer Entschädigung verurteilt.

Havva: Ja. Für Ibrahim sollten die Täter 50.000 Mark Schmerzensgeld zahlen. Aber bis jetzt haben die das nicht bezahlt.

Gibt es überhaupt jemanden, der Wort gehalten hat?

Faruk: Ja, unser Anwalt Christian Ströbele ist ein aufrichtiger Mensch. Obwohl die beiden Neonazis jetzt in Haft sind und die Verhandlungen vorbei sind, ruft er uns an. Fragt, ob wir was brauchen. Das tut uns unheimlich gut. Außerdem kümmert sich die Ehefrau des Außenministers, Frau Kinkel, sehr lieb um meinen Sohn Ibrahim. Sie schreibt Ibrahim regelmäßig und baut ihn auf. Er antwortet ihr. Sie hat für meine Frau und die Kinder eine Türkei-Kur bezahlt, damit sie sich ein bißchen erholen. Dafür sind wir sehr dankbar. Aber viele haben den Anschlag zur eigenen Reklame benutzt. Weder die türkischen noch die deutschen Politiker haben Wort gehalten.