piwik no script img

Wenn die „drei Affen“ ermitteln

■ Polizei-Skandal: Belastendes Filmmaterial im Fall Oliver Neß gelöscht / Staatsanwalt ermittelt nun plötzlich doch Von Sannah Koch

Nichts sehen und nichts hören und schon gar nichts aussagen wollen – getreu diesem Motto hat die Hamburger Polizei offensichtlich die Ermittlungen im Fall Oliver Neß betrieben. Der Journalist war am 30. Mai '94 bei einer Kundgebung gegen den österreichischen Rechtsaußen Jörg Haider auf dem Gänsemarkt von Polizisten zusammengeschlagen und schwer verletzt worden.

Jetzt wurde bekannt, daß bei den Ermittlungen nicht nur einfach geschlampt wurde. Offenbar wurde sogar von interessierter Seite Beweismaterial vernichtet. Ein Umstand, der schwer zu vertuschen sein dürfte: Denn die gesamte Ermittlungsakte wurde kürzlich dem NDR zugespielt. Und daraus gehen üble Manipulationen der Beweismittel hervor.

So hatte ein Beamter ausgesagt, daß er den gesamten Einsatz auf dem Gänsemarkt gefilmt habe. Auch den Angriff auf Oliver Neß: Der war damals ohne erkennbaren Grund von Polizisten zu Boden geschlagen worden, einer der Männer hatte ihm dann den Fuß so brutal verdreht, daß Neß einen doppelten Bänder-und Kapselriß erlitt.

Aber just die entscheidenden sechs Minuten des Übergriffs fehlen jetzt auf dem Polizeivideo. Angeblich soll die Staatsschutzabteilung den Film aber noch in vollständiger Fassung an die Abteilung „PS 3“ (polizeiinterne Ermittlungen) weitergeleitet haben. Außerdem wurden auch die Tonbänder mit dem gesamten Polizeifunkverkehr vom 30. Mai gelöscht. Darüber konnte selbst Staatsanwalt Joachim Dreyer nicht hinwegsehen: Er stellte nun Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Unterdrückung von Beweismaterial.

Aus der Ermittlungsakte gehen aber noch weitere Schlampereien hervor: So hatte ein Augenzeuge bereits am 7. Juli Hinweise auf dem möglichen Haupttäter gegeben. Der Mann, der Neß den Fuß verdreht hat, soll nicht wie fast alle anderen Beamten einen der üblichen dunklen Schlagstöcke, sondern einen hellen „Reservestock“ getragen haben. Doch diesem Hinweis wurde bis zum Oktober bei den polizeilichen Ermittlungen nicht nachgegangen. Vielmehr geht aus den Akten hervor, daß die polizeilichen Ermittler ihre Kollegen und andere Zeugen im Minutentakt vernommen haben. Die demzufolge wenig überaschenden Aussagen, mit denen sich die Ermittler aber aktenkundig zufriedengegeben haben, lauteten: „Weiß ich nicht; kenn ich nicht; hab ich nicht gesehen.“

Erst Mitte Oktober, mehr als vier Monate nach der Mißhandlung des Journalisten, die bundesweit für großes Aufsehen gesorgt hatte, griff die Staatsanwaltschaft in die Ermittlungen ein. Seitdem scheint auch der Hinweis auf den Mann mit dem hellen Schlagstock bedeutsam zu werden – Fragen nach diesem Indiz tauchen jedenfalls erst seit etwa vier Wochen in den Akten auf.

Ein Blick ins Fernsehprogramm könnte für die Ermittler dabei interessant werden. Die ARD sendet nämliche am heutigen Abend Filmaufnahmen des NDR, in denen sich ein Beamter mit weißem Stock an Neß' Fuß zu schaffen macht.

Heute in der ARD, 21.45 Uhr: Die „Prügelknaben“ der Nation

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen