Ein Pfund Kokain und mehr im Magen

Immer häufiger schnappt der Zoll am Flughafen Schmuggler, die bis zu 150 Kokainbeutel geschluckt haben / Wenn sich ein Beutel öffnet, stirbt der Schmuggler sofort einen qualvollen Tod  ■ Von Peter Lerch

Irgend etwas stimmte nicht mit dem jungen Mann, der am 22. Mai auf dem Flughafen Tegel mit einer Linienmaschine aus Madrid angekommen war. Mißtrauisch kontrollierte Zollhaupkommissar D. den Paß des 25jährigen Kolumbianers aus Baranquilla. Jesus P. Carillo erklärte, er sei Tourist und wolle nur einige Tage in Deutschland bleiben. Daß er aber weder über eine Anlaufadresse in Deutschland noch über ein Rückflugticket verfügte, machte den Zollbeamten stutzig. Er ließ Carillo röntgen und wurde fündig: Der Lateinamerikaner hatte den Magen voll mit 90 traubengroßen Päckchen, von denen jedes rund zehn Gramm Kokain enthielt. „Das ist schon ganz schön viel“, meint Karl-Heinz Domnick, Sachgebietsleiter des Zollfahndungsamtes Berlin auf dem Flughafen Tegel. Einmal habe er schon einen Afrikaner mit 150 Beuteln erwischt. Alle zwei bis drei Monate ertappen seine Leute auf dem Flughafen einen, der versucht, mit seinem Körper Stoff ins Land zu bringen. Die „Ameisen“ herauszufinden verlangt von den Zollfahndern viel Gespür. „Wir gucken uns den Mann an. Hat er Schweißperlen auf der Stirn oder wird nervös? Wenn dazu noch die äußeren Umstände wie Reiseroute und Herkunft passen, gucken wir genauer hin.“ Damit meint er die körperliche Durchsuchung und gegebenenfalls die Durchleuchtung des Betreffenden.

Diese Art des Drogenschmuggels sei immer häufiger anzutreffen und werde insbesondere von südamerikanischen Schmugglerringen gerne angewendet, erklärte Justizpressesprecher Frank Thiel gegenüber der taz. Das bestätigt auch die Kripo. Das Verschlucken der Kapseln muß allerdings trainiert werden. Die Kurierkandidaten üben systematisch das Verschlucken von Weintrauben. Häufig müssen die künftigen „Ameisen“ mehrere Tage hintereinander antreten, um sich mit diesem Spezialtraining auf ihre Aufgabe vorzubereiten, wobei die Mengen ganz allmählich erhöht werden. Nach dem ausgiebigen Training schaffen es manche Kuriere, mehr als ein Kilo Ware in ihrem Magen zu transportieren.

In diesem Business überläßt man sowenig wie möglich dem Zufall. Denn zum einen gibt es ohnehin zu viele Unwägbarkeiten, und zum anderen lohnt sich der Schmuggel auf diese Weise für den Auftrageber nur dann, wenn der menschliche „Container“ mindestens ein Pfund Kokain transportieren kann. Flugtickets, Spesen, Honorare und häufigere Ausfälle durch Verhaftung oder Tod eines Kuriers sorgen für relativ hohe „Betriebskosten“ beim Schmuggel der Droge im Körperinneren.

„Eine außerordentlich gefährliche Art, Drogen zu transportieren“, merkt Karl-Heinz Domnick an und erinnert an einen spektakulären Fall, der sich vor knapp zwei Jahren auf dem Londoner Flughafen ereignet hatte. Seinerzeit war einem Schmuggler ein Beutel mit Kokain im Magen aufgegangen. Der Mann starb innerhalb weniger Minuten. Wenn sich ein Knoten eines Gummi-Fingerlings im Magen des lebendigen Containers öffnet, wird der Schmuggler unausweichlich an einer Kokainvergiftung sterben. Ein grauenvoller Tod, der immer von Hirnkrämpfen und Herzflimmern begleitet wird. „Gott sei Dank haben wir so etwas noch nicht erlebt“, sagt der Zollfahnder. Doch in den Slums kolumbianischer Großstädte stehen Heerscharen männlicher Slumbewohner zur Verfügung, für die ein schlecht bezahlter Job als „sicario“ (Berufsmörder) oder eben als „Container“ die einzigen Möglichkeiten sind, an Geld zu kommen.

Auch Carillo, von Beruf Straßenhändler und eigenen Angaben zufolge arbeitslos, erklärte vor Gericht, daß seine Einkommensverhältnisse unregelmäßig seien. Der bis dahin nicht vorbestrafte Mann hat eine zweijährige Tochter zu versorgen, die krank ist. Nach seiner Festnahme erzählte der Kolumbianer der Polizei, daß er die Droge im Auftrag einer ihm namentlich nicht bekannten Frau nach Berlin bringen sollte. Der Empfänger der Droge würde ihn am Taxi-Stand erwarten und ihn dort ansprechen. Für den Transport sollte Carillo nach seiner Rückkehr zwei Millionen Pesos (rund 40.000 Mark) als Bezahlung erhalten. Die Frau, von der er die Instruktionen habe, hatte ihn einen Tag zuvor zum Flugplatz gebracht, wo er kurz vor dem Abflug nach Madrid auf dem Parkplatz des El Dorado Flughafens in Bogota neunzig walnußgroße, aus Fingerlingen oder Kondomen gefertigte Kapseln voll Kokain geschluckt hatte. Um ein vorzeitiges Ausscheiden der Droge zu verhindern, hatte er noch drei Packungen eines Medikamentes geschluckt, das die Magen- und Darmtätigkeit vorläufig stillegt. Für den Fall, daß er seinen Mageninhalt vorzeitig ausscheiden müsse, sollte er die Ware vergraben und sich dann zum Treffpunkt begeben.

Nachdem er am 22. Mai 94 verhaftet worden ist, wurde er vergangene Woche zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Wahrscheinlich wird er die Strafe nicht vollständig verbüßen müssen. „Die Gerichte haben die Möglichkeit, die Strafe zum Zweidrittelzeitpunkt auszusetzen. Dann wird der Gefangene an die Ausländerbehörde überstellt, die ihn in Abschiebehaft nimmt“, so Justizsprecher Thiele. Wenn allerdings der Verdacht besteht, daß es sich bei dem oder den Tätern um Mitglieder der organisierten Rauschgiftkriminalität handelt, können die Gerichte auch auf der vollständigen Verbüßung der Strafe bestehen.