Der Castor-Transport nach Gorleben ist vorerst gerichtlich gestoppt: Aber für wie lange? Die neue Bundesumweltministerin Angela Merkel legte gestern Beschwerde ein. Und manchmal arbeiten Gerichte ganz schön schnell Aus Lüchow Jürgen Voges

Castor fällt auf Merkel zurück

Nur ein kurzer Aufschub für den Castor aus Philippsburg? Oder muß nach dem überraschenden Eingriff des Lüneburger Verwaltungsgerichtes zumindest dieser eine Behälter wieder entladen oder anderswohin, etwa in die Wiederaufarbeitung, geschickt werden? Dies sind die Fragen, die sich nach der Entscheidung der Verwaltungsrichter stellen, die am Montag abend die „aufschiebende Wirkung“ der seit 1983 anhängigen Klage gegen die Genehmigung des Gorlebener Zwischenlagers wiederhergestellt haben.

Der abfahrbereite Castor ist damit gerade noch gestoppt worden. Die Siebte Kammer des Verwaltungsgerichtes Lüneburg unter dem Vorsitzenden Richter Bode stellt in der Begründung ihres Beschlusses jedoch klar, daß sie grundsätzlich die Lagerung von abgebrannten Brennelementen in Zwischenlagern für zulässig hält. Aber sie hat in den „Vorgängen um die Beladung des Castor-Behälters“ ein „gravierendes Regelungsdefizit“ der Genehmigung festgestellt, das „die gebotene Schadensvorsorge“ in Frage stellt.

Über die Pannen staunte auch der TÜV: Als der Castor mit neun Brennelementen beladen war, paßte der Deckel nicht, und Meßgeräte fielen aus. Schon das niedersächsische Umweltministerium hatte moniert, daß bei den Philippsburger Improvisationen von den detailliert vorgeschriebenen Schritten der Beladung abgewichen wurde.

Auch die Lüneburger Richter verlangen jetzt, daß es angesichts der hochsensiblen Materie einer „Einhaltung dieser Einzelschritte mit äußerster Akribie“ bedürfe. Sie gehen noch einen Schritt weiter: In der Genehmgung fehle eine eindeutige Regelung, die festlegt, wer Abweichungen von den Handhabungs- und Prüfvorschriften zuzulassen habe. Der „Nebenbestimmung 18.2“ der Genehmigung sei in diesem Fall sogar „eher eine Pflicht der Aufsichtsbehörde zur Versagung der Zustimmung zu entnehmen“.

Das niedersächsische Umweltministerium hätte die Zustimmung zu dem Transport daher „eher“ nicht erteilen dürfen. Es frage sich deshalb, schreiben die Richter in ihrer Entscheidung, ob diese Aufsichtspflicht „durch eine Weisung des zuständigen Bundesministers überspielt werden darf“.

Hatte Klaus Töpfer Rechtswidriges verlangt? Seine Nachfolgerin im Bundesumweltministerium, Angela Merkel, hat gestern formal Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt. Ihre Juristen sitzen noch über der Begründung. Wann das Oberverwaltungsgericht Lüneburg als zweite Instanz entscheiden wird, ist auch für den Anwalt der Gorleben-Kläger, Nikolaus Piontek, „sehr schwer einzuschätzen“. Im Normalfall sei auch bei einstweiligen Entscheidungen schon mit einer Verfahrensdauer von einem halben Jahr zu rechnen, es habe aber auch bereits Entscheidungen binnen Wochenfrist gegeben, warnt Piontek.

Die untere Instanz scheint selbst so schnell nicht mit einem Eingriff des Oberverwaltungsgerichts zu rechnen. In einem Brief an den Anwalt bezweifelt sie, daß in der Hauptsache über die Klage aus dem Jahre 1983, die jetzt wieder aufschiebende Wirkung hat, noch verhandelt werden muß. Denn diese Klage würde sich erledigen, wenn die von Grund auf neue Genehmigung für das Gorlebener Zwischenlager erteilt würde, an der das Bundesamt für Strahlenschutz seit Jahren arbeitet. Angekündigt ist sie für das erste Quartal 1995. Bonn sollte „darauf verzichten, die alte Genehmigung noch zu vollziehen“, meint Piontek, und das Lüneburger Gericht sieht das wohl auch so.