Fundgrube von Vertuschtem

■ Ermittlungen im Fall Oliver Neß: Vorzeigestück für Polizeikumpanei / Innensenator setzt auf Recherche der Staatsanwälte Von Sannah Koch

Die Ermittlungsakte Oliver Neß – eine Fundgrube von Vertuschtem, Manipuliertem, Tendenziösem. Aber nicht nur „kriminelle Strukturen in der Polizei“ will sein Anwalt Manfred Getzmann darin entdeckt haben; für das Polizei-Opfer Neß steht außerdem fest: „Diese Ermittlungsschlampereien haben eine politische Dimension“.

Gestern luden Neß, seine Anwälte Getzmann und Andreas Beuth und der GAL-Abgeordnete und „Kritische Polizist“ Manfred Mahr die Presse ein, um die entdeckten Manipulationen zu erläutern (taz berichtete gestern). Ein Vorzeigestück der Kumpanei.

Der Journalist Neß war im Mai bei einer Demonstration auf dem Gänsemarkt von Polizisten mißhandelt worden, dabei erlitt er einen Bänderriß. Ein Übergriff, der wie kaum ein anderer durch Bildmaterial dokumentiert ist. Oder besser wäre: Denn die Beweismittel in Bild und Ton wurden entweder ganz oder teilweise gelöscht, manche sogar ganz unterschlagen. Aus einem Polizeivideo wurden die Minuten nach dem Übergriff auf Neß getilgt; der Polizeifunk des Tages wurde komplett gelöscht. Zudem hatte der Senat vor einigen Wochen auf eine GAL-Anfrage geantwortet, es gebe nur ein Polizeivideo – offenkundig unwahr. Denn Presseaufnahmen belegen, daß die Bereitschaftspolizei einen zweiten Film angefertigt hat. Der fehlt aber in der Ermittlungsakte. Mahr: „Die Exekutive tanzt dem Parlament auf der Nase herum.“

Für Andreas Beuth belegt die Akte auch, daß die PS3 (Polizeiabteilung für Beamtendelikte) so ermittelt hat, „daß nichts Belastendes gegen Polizisten herauskommt.“ Standardisierte Kurzbefragungen, keine Vorhaltungen des Bildmaterials – „die Vernehmungen wurden tendenziös im Sinne der Entlastung geführt“, so Beuth. Anders die Befragung des Opfers: Neß war stundenlang mit bohrenden Nachfragen vernommen worden.

Ebenso bedenklich: Bis heute fehlen immer noch die Namen von sieben am Einsatz beteiligten Zivilbeamten; von den 214 Uniformierten wurden nur 20 vernommen. Für Rechtsanwalt Beuth steht fest: „PS3 gehört aufgelöst. Bei Polizeivergehen muß gleich die Staatsanwaltschaft ermitteln“.

Schwere Vorwürfe erhebt Neß gegen Innensenator Hartmuth Wrocklage. Im September habe der ihm telefonisch versichtert, er kenne die Akte und wolle gegen PS3 vorgehen, so Neß gestern. Jetzt habe er das Gefühl, der Senator decke die Täter. Beleg: Wrocklage habe bislang keinen Beamten suspendiert. „Mein Vertrauen um eine Aufklärung haben alle Behörden enttäuscht“, so Neß. Wrocklage wies die Vorwürfe zurück. Die Vorfälle seien Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. „Als Innensenator lasse ich mich nicht in eine Rolle drängen, die mir nicht zusteht“, so seine Replik, er lasse sich aber auch von niemandem darin übertreffen, alles zu tun, um zu einer umfassenden Klärung der Vorwürfe beizutragen.