Mit aller Macht zur Macht im Norden

In Pankow soll die parteilose und für die PDS nominierte Baustadträtin Claudia Nier abgewählt werden / Die SPD will gestärkt in den Wahlkampf gehen und bereits vorher die Schlüsselstellen der Macht besetzen / Wie verhält sich das Bündnis 90?  ■ Von Uwe Rada

Die Geschütze sind geladen: „Mangelndes Demokratieverständnis“ wirft ihr die SPD vor, „Täuschung der Abgeordneten“ oder „verfehlte Verkehrsplanung“. Vorwürfe, bei denen auch das Bündnis 90 hellhörig wird. Claudia Nier, parteilos, von der PDS als Pankower Baustadträtin nominiert, soll abgewählt werden.

Anfang November ging es hoch her in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung. „Wo denn das Verkehrskonzept bleibt“, fragte die SPD und verwies auf einen BVV-Beschluß, in dem dem Bezirksamt empfohlen wurde, ein Verkehrskonzept für Pankow zu erarbeiten. Ein Ansinnen freilich, für das nicht die Baustadträtin, sondern der Verkehrssenator zuständig ist. Diesen Sachverhalt freilich hätte Claudia Nier laut Geschäftsordnung zuerst dem Bürgermeister mitteilen müssen. Statt dessen informierte sie die BVV. „Täuschung der Abgeordneten“?

Oder eine Provinzposse mit machtpolitischem Hintergrund? Für Claudia Nier ist der Abwahlantrag mit dieser Begründung schlicht unverständlich. Schließlich ist die 40jährige ehemalige Mitstreiterin der Bürgerinitiative gegen den Abriß der Prenzelberger Rykestraße in Sachen Pankower Verkehrspolitik nicht untätig gewesen. Kurz nach dem BVV- Beschluß hatte sie ein Planungsbüro konsultiert, das ihr von der Umweltverwaltung empfohlen wurde. Wenig später hatte sie von ihrem SPD-Kollegen in Tiergarten erfahren, daß jenes Büro kein Verkehrskonzept abgeliefert habe, sondern eine 120.000 Mark teure Belastbarkeitsstudie. Claudia Nier zog den Auftrag zurück. Darüber hinaus wurde sie vom Rechtsamt des Bezirks auf die Einhaltung der Zuständigkeiten hingewiesen und darauf, daß es im Bezirk kein Geld für eine solche Studie gebe.

Für die SPD spielt das offenbar keine Rolle. Auf eben jener BVV- Sitzung, auf der das Verkehrskonzept eingeklagt wurde, zauberten die Sozialdemokraten einen Abwahlantrag hervor. Auch das Bündnis 90 formulierte Kritik. Der Baustadträtin, so hieß es, mangle es am Demokratieverständnis. Claudia Nier wird vorgeworfen, den Entwurf für den Flächennutzungsplan (FNP) nicht wie gefordert in Pankow, Buch und Buchholz ausgelegt zu haben. Claudia Nier beschränkte sich auf Pankow- Zentrum. Ihre Begründung: Eine Auslegung alleine reiche nicht zur Bürgerbeteiligung, man brauche auch Personal, um den Bürgern den Plan zu erläutern. Für drei Standorte freilich reichte das Personal nicht. Bereits vor der Auslegung hatte die Baustadträtin allerdings in Buchholz sieben Veranstaltungen zu Bürgerbeteiligungen in eigener Regie durchgeführt.

Am 1. Dezember soll nun über das künftige Schicksal der Baustadträtin entschieden werden. Wird Claudia Nier abgewählt, will SPD-Bürgermeister Jörg Richter bis zur nächsten Kommunalwahl im Herbst 1995 das Amt kommissarisch übernehmen. Ob die für die Abwahl notwendige Zweidrittelmehrheit zustande kommt, ist fraglich, aber nicht ausgeschlossen. Immerhin haben neben der SPD, der CDU und den Reps auch Abgeordnete des Bündnis 90 angekündigt, dem SPD-Antrag zu folgen.

Die rot-grün-schwarze Abwahlkoalition im Norden stößt freilich nicht überall auf Gegenliebe. Grünen-Sprecher Norbert Schellberg findet es „unmöglich, sich ohne Not in eine große Koalition gegen die PDS zu bewegen“, und die baupolitische Sprecherin der grünen Abgeordnetenhaus-Fraktion, Elisabeth Ziemer, bezeichnet den Abwahlantrag als „völlig unverständlich“. Sie kennt Claudia Nier als eine „engagierte Baustadträtin“, die sich insbesondere beim Flächennutzungsplan (FNP) und dem Wohnungsbau für den Bezirk eingesetzt habe. Zusammen mit anderen Grünen-PolitikerInnen will sich Elisabeth Ziemer nun bei den Bündnis-Vertretern in Pankow für Claudia Nier einsetzen. Immerhin ist der Abwahlantrag auch in der Pankower Fraktion der Bündnisgrünen nicht unumstritten, wie die Abgeordnete Margitta Urbatzka gegenüber der taz erklärt. Sie selbst habe mit den gesamten Vorwürfen Probleme und fände eine Abwahl schädlich für den Stadtbezirk.

Daß es in Pankow, wo die SPD bei der Bundestagswahl das Direktmandat an die PDS verloren hat, nur vordergründig um das Verkehrskonzept geht, davon ist insbesondere der Vorsitzende der PDS-Fraktion in der Pankower BVV, Roland Schröter, überzeugt: „Nächstes Jahr stehen gerade in Pankow mehrere Grundsteinlegungen an, und die möchte die SPD im Kommunalwahlkampf gerne selbst vornehmen.“ Darüber hinaus dürfte auch die nach der Kommunalwahl im nächsten Herbst vorgesehene Reduzierung der Bezirksämter von derzeit sieben auf fünf Stadtratsposten eine Rolle spielen. Wenn dem Bürgermeister dann die Finanzen und dem Bauamt die Wirtschaft zugeschlagen wird, bilden beide Ämter die Schlüsselstellen zur Bezirksmacht. Bliebe Claudia Nier dagegen im Amt, könnte sie nicht nur mit Grundsteinlegungen, sondern auch mit Themen in den Kommunalwahlkampf gehen, die sich durchaus als Erfolgsbilanz lesen lassen: Statt der von der CDU geforderten Ausweisung der Breiten Straße im FNP als Kerngebiet (mit uneingeschränkter Umwandlungsmöglichkeit von Wohn- in Gewerberaum) setzte Claudia Nier durch, daß das Gebiet vom Bausenator zum Sanierungsgebiet förmlich festgelegt wurde. Sie kann ferner auf den Bau von 1.300 Wohnungen verweisen, wofür sie von Wirtschaftssenator Meisner gelobt wurde, und sie hat eine ehemals geplante neue Autostraße nördlich der Breiten Straße verhindert.

Was im Falle einer Abwahl von einem sozialdemokratisch geführten Bauamt zu erwarten ist, hat die SPD bereits unter Beweis gestellt. Auf dem Gelände des letzten „Müllerhauses“ in Pankow fordern die Sozialdemokraten, ein Bürohaus zu genehmigen. Das denkmalgeschützte Gebäude, das der Mühlenstraße seinen Namen gab, war vom Eigentümer illegal abgerissen worden. Die Strafe vor dem Amtsgericht betrug lächerliche 27.000 Mark, der Kaufpreis für das Grundstück samt Baugenehmigung dagegen 2,8 Millionen Mark. Während Claudia Nier zusammen mit der Denkmalpflege versuchte, die Baugenehmigung nicht erteilen zu müssen, will die SPD den gesetzwidrigen Bauherrn im nachhinein belohnen. Die „sozialdemokratische Handschrift“ bestünde einzig in einer kleinen Einschränkung: Der Bauherr soll mit einer Gedenktafel an das abgerissene „Müllerhaus“ erinnern.