: Senator Doles Handelsfreiheit
Vor der Abstimmung über das Welthandelsabkommen im US-amerikanischen Kongreß: Bill Clinton gerät immer stärker unter Druck ■ Aus Washington Andrea Böhm
Die Truthähne sind gefüllt, die Soße ist angerührt, der Kürbiskuchen gebacken. Ganz Amerika feiert heute mit diesem traditionellen Gelage Thanksgiving, das Erntedankfest. In manchen Häusern allerdings, zum Beispiel dem großen weißen in Washington, kaut der Hausherr lustlos auf dem Fleisch herum und hat wahrlich keinen Anlaß, sich bei irgend jemandem für irgend etwas zu bedanken. Nicht nur die jüngste Erdrutschsieg der Republikaner dürfte Bill Clinton heute den Appetit verderben, sondern auch die Aussicht auf die nächsten Tage, wenn der US- Kongreß die Ratifizierung des Welthandelsabkommens, Gatt, beraten wird.
Am 29. November soll das Repräsentantenhaus abstimmen, zwei Tage später der Senat. Dort tun sich für Clinton die größten Probleme auf. Das Parlament tritt zwar noch in seiner alten Besetzung mit einer Mehrheit der Demokratischen Partei in beiden Häusern an. Doch die neuen Hausherren, allen voran der republikanische Senator Robert Dole und der zukünftige Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Senat, Jesse Helms, lassen den Präsidenten ihre Macht spüren und drohen, die Ratifizierung scheitern zu lassen. Jesse Helms will die Abstimmung auf nächstes Jahr verschieben, was einem Scheitern der Ratifizierung gleichkäme. Robert Dole hat von der Clinton-Administration als Gegenleistung die Zustimmung zu einer Senkung der Kapitalertragssteuer verlangt. Wenn dieser Forderung nicht nachgegeben werde, könne er, Dole, nicht garantieren, die nötigen Stimmen im Senat für die Gatt-Ratifizierung zusammenzubekommen. Der Präsident hat am Dienstag abend dieses Tauschgeschäft abgelehnt, er sagte vor Journalisten, das Freihandelsabkommen sollte „allein wegen der Vorteile, die es bringt“, angenommen werden.
Eben die aber wollen die Republikaner nicht erkennen. Senator Doles Drohung wirkt weiter. Die im Gatt-Abkommen vorgesehene Aufhebung von Importzöllen wird in den ersten Jahren ein größeres Finanzloch verursachen, das nach der herrschenden Haushaltsgesetzgebung eigentlich durch Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen ausgeglichen werden müßte. Mindestens 60 Stimmen braucht Clinton im Senat, um diese Regel im Fall des Gatt außer Kraft zu setzen.
Daß Bill Clinton bei der Verabschiedung von Freihandelsabkommen auch mit den Abgeordneten seiner eigenen Partei Probleme hat, ist hinlänglich bekannt. Im November letzten Jahres hatten zahlreiche Demokraten unter dem Beifall der Gewerkschaften gegen die Ratifizierung des North American Free Trade Agreement (Nafta), einer Freihandelszone von der Südgrenze Mexikos bis zur Nordgrenze Kanadas, gestimmt. Damals bewahrten die Republikaner Clinton vor einem innen- wie außenpolitischen Debakel.
Daß nun auch sie beim Stichwort „Freihandel“ auf die Bremse treten, hat unterschiedliche Gründe. Jesse Helms, Senator aus North Carolina und Galionsfigur des erzkonservativen Flügels seiner Partei, handelt zunächst ganz im Interesse seiner Wählerklientel. North Carolina ist ein Zentrum der US-Textilindustrie, die unter dem Wegfall von Importbeschränkungen für ausländische Produkte leiden wird. Zudem teilt Helms mit vielen Rechten in seiner Partei eine traditionelle Aversion gegen multinationale Institutionen – ob sie nun UNO oder WTO heißen. Sollte seine Obstruktionspolitik am Ende die Ratifizierung des Gatt-Abkommens verhindern, so hätte er damit ein weiteres Ziel erreicht: den nächsten, vielleicht endgültigen Schlag gegen den Präsidenten zu landen.
Im Gegensatz zu Helms zählte Dole immer zu den Befürwortern einer Freihandelspolitik. Doch da der 71jährige Senator aus Kansas Ambitionen auf die Nominierung als Präsidentschaftskandidat hat, muß er nunmehr den rechten Flügel seiner Partei hofieren und beweisen, daß er ebenso wie sein um 20 Jahre jüngeres Pendant im Repräsentantenhaus Newt Gingrich die „neue“ Politik der Republikaner durchsetzen kann. Dazu gehört – neben einer Aufstockung des Rüstungsbudgets, schärferen Strafgesetzen und einem Abbau der Sozialhilfe – eben auch die Senkung der Kapitalertragssteuer.
Bislang gibt sich die Clinton- Administration in dieser Frage noch kompromißlos. Doch Dole hat sich längst auch Argumente zu eigen gemacht, mit denen er sich in einer wundersamen Koalition mit Umweltschutz-und Verbrauchergruppen wiederfindet: der Verlust nationaler Souveränität durch die Einrichtung der World Trade Organization (WTO), die in Zukunft die Einhaltung des Gatt-Abkommens überwachen und Streitigkeiten zwischen den 124 Unterzeichnerstaaten schlichten soll. Kritiker befürchten, daß nationale Gesetze zum Umwelt- oder Verbraucherschutz, die die Einfuhr mancher Produkte verbieten, von der WTO als unzulässige Importbeschränkungen ausgelegt werden. Nach einem Bericht des Wall Street Journal vom Dienstag haben sich die Clinton-Administration und der republikanische Fraktionschef zumindest in dieser Frage auf einen Kompromiß geeinigt. Ein Richterausschuß soll in Zukunft die Urteile der WTO überprüfen. Entscheidet die Welthandelsorganisation nach Ansicht des amerikanischen Gremiums innerhalb eines „relativ kurzen Zeitraums“ dreimal gegen die USA, kann der US- Kongreß den Austritt aus der WTO beschließen.
Wirtschaftsexperten befürchten nun, daß auch die Europäische Union und andere Gatt-Mitglieder dem US-amerikanischen Beispiel folgen werden – frei nach dem Motto: „Wenn es uns nicht paßt, spielen wir nicht mehr mit.“
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