Taslima Nasrin in Paris

Nach der Ausladung im Oktober traf die bedrohte Schriftstellerin gestern in Frankreich ein, und die MinisterInnen drängeln sich um sie  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Taslima Nasrin ist vorsichtig geworden. Vor anderthalb Monaten, als die französische Regierung der verfolgten Schriftstellerin aus Bangladesch das gewünschte Besuchervisum für eine Woche verweigerte, antwortete Nasrin aus ihrem schwedischen Asyl mit deutlichen und bitteren Worten. Von der Heimat von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit hätte sie anderes erwartet, sagte sie. Gestern, als sie ihren lang geplanten Frankreichbesuch endlich antreten konnte, hielt sich Nasrin zurück: „Ich bin glücklich, hier zu sein. Damals war ich enttäuscht, jetzt ist alles o.k.“

Zehn Tage lang wird die 32jährige in Frankreich bleiben. Ihr Programm ist dicht gedrängt: Fernsehdiskussionen, Auftritte in Büchereien in Marseille, Straßburg und Paris, ein Abend mit dem algerisch-berberischen Sänger Matoub Lounès, eine Preisverleihung in der Stadt Nantes und Rendezvous mit mindestens drei MinisterInnen der konservativen französischen Regierung, die sie am 7. Oktober auslud: Außenminister Alain Juppé, Kulturminister Jacques Toubon und Gesundheits- und Familienministerin Simone Veil. Die Schriftstellerin wolle ihnen „Fragen stellen“, sagte sie gestern bei der Ankunft. Welche Fragen, das habe sie noch nicht überlegt.

Aus „Sicherheitsgründen“, konkret: „Angst vor Anschlägen“ hatte die französische Regierung den zunächst für den 7. Oktober geplanten Besuch, der eine Woche dauern sollte, auf 24 Stunden abgekürzt, dann gnädig auf drei Tage verlängert, an denen die Schriftstellerin jedoch an keinerlei öffentlichen Auftritten teilnehmen und schon gar nicht die Hauptstadt verlassen sollte. Nasrin winkte aus Stockholm ab; Menschenrechtsorganisationen, JournalistInnen und Intellektuelle sprachen von einem Kniefall vor islamischen FundamentalistInnen.

Sechs Wochen und einen internationalen Skandal später reiste sie gestern morgen in Paris an. Aus Sicherheitsgründen hatte sie eine frühere als die angekündigte Maschine genommen.

Mit einem Kloß im Hals begann Nasrin ihre Rede bei einer improvisierten Pressekonferenz auf dem Flughafen Roissy. Verbal verbeugte sie sich vor einer beeindruckenden Liste von französischen SchriftstellerInnen, von Voltaire bis zu Simone de Beauvoir, die sie als für sie wichtigste bezeichnete. Sie verurteilte religiöse Fundamentalisten jeglicher Provenienz – christliche, moslemische und hinduistische – und dankte vielfach ihren „vielen französischen Freunden“. Von den anderen Franzosen sagte sie nichts.

Verbeugung vor Voltaire und Simone de Beauvoir

Sorgfältig vermied sie Einmischungen in innere Angelegenheiten ihres Gastlandes. Islamische Kopftücher, sagte sie, seien „ein Zeichen der Diskriminierung von Frauen“. Zu deren Verbot an französischen Schulen äußerte sie sich nicht. Statt dessen wähnte sie sich glücklich, in der „Hauptstadt der zivilisierten Welt“ zu sein.

Dieses Mal, sagten französische OrganisatorInnen der Reise, habe das Innenministerium keine Auflagen gemacht. Die Polizei habe lediglich eine genaue Auflistung der Aktivitäten der Besucherin gewollt, um deren Schutz sicherzustellen. „Nein“, sagte die, „ich habe keine Angst vor islamischen Fundamentalisten. Wenn ich Angst hätte, könnte ich ja nicht weiterschreiben und gegen die Intoleranz sprechen.“

In ihrem schwedischen Exil schreibt Nasrin an einem Buch über „unterdrückte Frauen und Männer“. Zu ihrem Prozeß wegen „Beleidigung der religiösen Gefühle von Muslimen“, der am 10. Dezember in Bangladesch eröffnet wird, will sie nicht reisen. Aber wenn sie zu den erwarteten zwei Jahren Gefängnis verurteilt wird und wenn die Regierung bereit ist, für ihre Sicherheit im Gefängnis zu garantieren, dann ist Taslima Nasrin bereit, in ihr Mutterland zurückzukehren. „Wenn ich das nicht tue“, begründet sie, „kann ich nie zurück.“