Nato verteidigt sich selbst

■ Zwei Luftangriffe der Alliierten auf serbische Flugabwehrstellungen

Sarajevo (AFP/taz) – Zum zweitenmal in dieser Woche hat die Nato massiv in den Bosnien-Krieg eingegriffen. Über zwanzig ihrer Kampfbomber flogen gestern zwei Angriffe gegen serbische Flugabwehrstellungen in Otoka, 25 Kilometer nordöstlich von Bihać. Von dort aus waren am Dienstag zwei britische Harrier-Flugzeuge beschossen worden, die die Einhaltung des UN-Flugverbots in Bosnien kontrollieren sollten. Getroffen wurden sie nicht. Während des Fluges nach Otoka am Vormittag bemerkten die Piloten, dass sie von gegnerischem Radar erfasst wurden. Daraufhin wurden diese Stützpunkte bei Bosanska Krupa und Dvor ebenfalls bombardiert. Am Nachmittag wurde dann erneut die Stellung bei Otoka angegriffen.

Unterschiedliche Darstellungen gab es jedoch hinsichtlich des Zwecks des Nato- Einsatzes. Während der Nato-Kommandeur für Südeuropa, Admiral Leighton Smith, von „Selbstverteidigung“ sprach, sagte der italienische Verteidigungsminister Cesare Previti, der Angriff sei eher eine Demonstration der Entschlossenheit als eine Strafaktion gewesen. Sicher jedoch ist, dass mit dem Angriff der Vormarsch der Serben auf die Stadt Bihać nicht aufgehalten werden konnte.

So überrannten Verbände der Serben und des abtrünnigen muslimischen Geschäftsmanns Fikret Abdić gestern Morgen Verteidigungslinien der bosnischen Regierungstruppen und stießen weit in die Schutzzone vor. Ein Funkamateur aus Bihać berichtete, die Angreifer hätten an fünf bis sechs Stellen die Stadtgrenze überschritten. Nach Angaben der bosnischen Armee stehen die vordersten Einheiten des Gegners 1,5 Kilometer südwestlich des Stadtzentrums. Da aus dem Umland immer mehr Flüchtlinge nach Bihać kommen, steigt die Zahl der Menschen in der Stadt ständig. Mehr als 8.000 sind auf der Flucht, von den 180.000 Einwohnern der Enklave leben zur Zeit rund 70.000 in Bihać. Eine Folge hatte der Nato-Luftangriff ausserdem in Sarajevo. Dort umstellten serbische Truppen ein Waffendepot der UNO. Trotz der Nato-Angriffe hat der bosnische Ministerpräsident Haris Silajdzić seine Kritik an der UNO erneuert. Bei einer Dringlichkeitssitzung mit dem britischen General Michael Rose forderte er von den Blauhelmen, den serbischen Vorstoß in Bihać zu stoppen. Ein Stopp der Offensive der Serben sollte auch Tema der Unterredung zwischen dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević und UN- Emissär Akasi sein.

Besorgt hat sich gestern das russische Aussenministerium über die neuen Luftangriffe der Nato geäussert. „Die internationale Gemeinschaft driftet beständig zur gewaltsamen Unterstützung nur einer Seite der Konfliktparteien“, meinte ein nicht namentlich genannter hochrangiger Vertreter des Aussenministeriums. Er betonte noch einmal, dass ein Abzug der russischen Blauhelme in einer solchen Situation möglich sei. Wenn es bei dem für den 2. Dezember geplanten Treffen der Bosnien-Kontaktgruppe nicht gelänge, die Tendenz zu militärischen Lösungen umzukehren, „muss auf eine entsprechende Entscheidung Moskaus nicht lange gewartet werden“. Am Samstag will Russlands Aussenminister Andrej Kosyrew zu Gesprächen mit Aussenminister Kinkel nach Bonn kommen. her Seiten 9 und 10