Eine Adventszeit voller Dreadlocks

■ Reggae around the clock: Poetry, Dub, Ska, Ragga und Jungle - eine seligmachende Zeit für alle Rastas bricht an

Unter welchem Kleid verbirgt sich der zeitgemäße „dreadhead“? Wer gewillt ist, sein Bild von Reggae abseits der sonnentrunkenen Campari-Klischees neu zu malen, findet diesen Monat reichlich Gelegenheit. Gleich am 1. des Monats lädt Linton Kwesi Johnson unterstützt u.a. von Dennis Bovell (Ex-Orange Juice) in die Große Freiheit. LKJ hält mit seiner synchronen Dichtung seit den 70ern der älteren Generation der Westinder, die in London an ihrem amerikanischen Traum kurieren, schonungslos den Spiegel vor. Zum prägnanten Schlagwort gerinnt die Haltung des studierten Soziologen dabei etwa in seinem Song „Inglan Is A Bitch“. Seit seinem Eintritt in die Black Panther-Bewegung denkt der mittlerweile 42-jährige Dub Poet konsequent die rassische Diskriminierung der Westinder mit einer Kritik am Kapitalismus englischer Ausprägung zusammen. Vor allem auf Bass Culture gelang es ihm dabei, Agit-Prop mit schleichenden, erst in weiter Ferne ausklingenden Klängen zu verschmelzen und auch vor ergreifenden Liebesliedern nicht Halt zu machen.

Ganz ohne Worte kommt eine andere Legende aus. In den 70er Jahren verschrieb sich Jah Shaka ganz der Geheimwissenschaft Roots, um dann vor einigen Jahren den digitalisierten Verfremdungen zu erliegen. Zu den Auftritten seines Soundsystems pilgert seitdem eine ergebene Schar Dub-Süchtiger in die entlegensten Fabrik-Etagen der Londoner Vororte. Erstmalig in Hamburg wird Jah Shaka am 16. Dezember in der Markthalle seine Visionen präsentieren. Mit einem einzigen Plattenspieler und einer Vielzahl von Effektgeräten wird er die Töne so ausgiebig traktieren, bis diese ihre Herkunft leugnen. Nur mit halsbrecherischen Verrenkungen wird es gelingen, der Dichte der Bässe auszuweichen.

Zuvor wird das Downbeat-Soundsystem mit hyperventilierenden Breakbeats den Raggahits der Saison zum Galopp verhelfen. Das aus einem Berliner Plattenladen entstandene gleichnamige Label fiel zuletzt mit avancierten Jungle-Veröffentlichungen aus London auf. Zwischen diesen beiden Plattenlegern kann man zu Yellowman getrost Luft schnappen gehen. Denn der in Kingston lebende Unterhalter wildert allzu schamlos in den Gefilden der Mitsing-Melodien.

„Come on, Skinheads“ lautet die Losung von Derrick Morgan. Der Mann aus dem Alterskollegium des Off-Beat ist in Jamaica ein Charts-Topper und versucht sich nun auch endlich, der Alten Welt näher zu bringen. Dazu wählte sich Morgan die Berliner Ska-Band Yebo aus, mit der er seine größten Hits wie „Fat Man“ oder „Conquering Ruler“ neu einspielte, um danach mit den Whities auf Tour zu gehen. Sharks only! heißt es am 28. November in der Fabrik.

Vervollständigt wird der Kalender durch die Specials, für die ihr alter Zusatztitel „also known as“ endlich paßt, denn alle entscheidenden Leute sind nicht mehr dabei (16.12., Große Freiheit), und den Ragga-Popper Shinehead (17.12., ebd). Volker Marquardt/tlb