Halleluja: Es swingt und fetzt

■ n Ab Sonntag gibt es neue Gesangbücher in den evangelischen Kirchen Bremens

Wenn sonntags in der Kirche heiße Latino-Rhythmen erklingen, oder die Konfirmanden plötzlich alte Volkslieder intonieren, oder aber die kirchentreue Großmutter in ein fetziges Hevenu schalom alechem ausbricht – dann liegt das neue evangelische Gesangbuch dahinter. Ab diesem Sonntag, dem ersten Advent, wird das erste einheitliche Gesangbuch von 1950 durch ein neues abgelöst.

„Das Buch hat sich wieder geöffnet, weil man nicht mehr so empfindich ist“, sagt der Landeskirchenmusikdirektor Erich Ehlers, Mitglied des Gesangbuch-Ausschusses der ersten Stunde vor 15 Jahren. Früher habe man alles rausgeschmissen, was im Ansatz volkstümlich war. Es sei so viel kaputtgegangen durch das 3.Reich, daß man sich einfach nicht getraut habe, das noch in einem Gesangbuch zu lassen. Übrig blieben nur noch Lieder der strengen und herben Theologie. Verlorengegangen war jedoch die Tradition, zu jeder neuen gesellschaftspolitischen Situation Lieder zu machen. Daher wurde schon in der 60er Jahren Kritik laut an den fehlenden Gesängen zur Erhaltung der Erde, Folter, Hunger oder Verfolgung.

Im neuen Liedgut der Kirche finden sich viele Lieder, die ihre Wurzeln in der modernen Unterhaltungsmusik finden, unter anderem Gospels. Eine größere Vielfalt ist ebenfalls angestrebt: die Auswahl von allein 14 verschiedenen Kyrie-eleison-Versionen, macht es interessanter, findet Ehlers. Von den 535 Liedern sind ebenfalls alte Schinken dabei. Selbst diese haben eine Veränderung erfahren. Sie sind auf der Tonleiter etwas runtergesetzt worden, damit sie „bequem gesungen werden können“. Doch ein bißchen körperliche Anstrengung beim Singen muß schon sein, findet Ehlers, „sonst wird das eine lahme Soße“. Nicht nur die Musik, auch die Sprache ist überarbeitet. War früher ständig von „Brüdern“ in den Liedtexten die Rede, so weicht man heute zu Gunsten der Frauen auf Worte wie „Christen“ oder „Menschen“ aus. Das Buch ist mit basisdemokratischer Hilfe entstanden. Als nach neun Jahren Arbeit ein vorläufiges Gesangbuch zustandegekommen war, ging es 1988 in die Testphase. Die drei bremer Probegemeinden hatten nichts zu beanstanden und machten Strichlisten mit ihren Favoriten.

Das Buch ist jedoch nicht nur zum Singen da. Etwa ein Drittel der 1.648 Seiten gehören zum „Textteil“. Dieser umfaßt Psalme, Bekenntnisse, etwa 60 Gebete, und das Kirchenjahr mit all seinen dazugehörigen Lesungen. In der Bremer und niedersächsischen Ausgabe des Gesangbuches gibt außerdem einen Regionalteil mit 126 besonders beliebten Liedern der reformierten theologischen Ausrichtung, sowie fünf plattdeutsche Lieder. Insbesondere wurde darüberhinaus auf eine ökumenische Liedvielfalt geachtet. Im Sinne der Weltkirchenkonferenz haben so einige Lieder aus anderen Ländern und in anderen Sprachen ins Gesangbuch Einzug gefunden. „Lobe den Herrn“ kann beliebig in sechs Sprachen gesungen werden. Darüber habe man sich in der Liedfindungskommission nicht gestritten. Aber die schlimmste Debatte sei über das Lied „So nimm denn meine Hände“ ausgebrochen. Die süßliche Melodie und der absolut ergebungsvolle Text sind nach Meinung Ehlers „kritische Punkte“. „Die Theologie, daß Gott nun alles richten wird, kann man heute nicht mehr vertreten.“ Auch die Frage der Unsicherheit gehöre in ein Gesangbuch, wie in dem Lied „Gott, warum hast Du mich verlassen?“. vivA

Samstag abend Genaralprobe in St. Stephani mit dem Jazz-ensemble der Hochschule für Künste