Eifersucht in der Tiefgarage

■ Heute im Schauspielhaus: Frank Hoffmanns neuer „Othello“, der seine Beziehungskiste nicht auf der Bühne ausdiskutieren will

„Venedig von hinten“ habe er darstellen wollen, läßt der Maler Ben Willikens ausrichten. Mit seinem Bühnenbild, das er für Othello geschaffen hat, ist ihm das tatsächlich gelungen.

Ein Venedig, das der Tourist dann doch lieber nicht kennenlernen möchte: statt romantischer Gassen, Straßen wie Betonschluchten, Innenräume wie sie Albert Speer für die Reichskanzlei entwarf. Und schulterhoch mit Teer beschmiert wurde dieser Parkhaushäßlichkeit auch noch. Recht so. Schließlich gehören die Shakespearschen Messerstechereien, viehischen Morde und Othellos unzivilisierte Eifersucht nicht in die gute Stube.

Frank Hoffmanns Regie baut ganz auf Ben Willikens' betonbrutales Bühnenbild. Die Dynamik entwickelt sich aus dem Kontrast zwischen Raum und Mensch, staubigem Grau und blutigem Rot. Erst auf dem Hintergrund der schmerzhaften Brutalität dieser Bildräume ist das Pathos der Figuren erträglich. - Sprengen doch heftigste Leidenschaften in Shakespeares Othello den Rahmen des Gutbürgerlichen.

Dabei fing alles so harmlos an. Desdemona (Gabriela Maria Schmeide), Tochter aus gutem Hause, hatte sich in den Mohren Othello (Matthias Brenner) verliebt. Der fiel im venezianischen Völkergemisch wohl weniger durch seinen Hautfarbe als durch sein aufrechtes unverbogenes Wesen auf. Eine Einzelerscheinung auch in Shakespeares Tragödien. Rodrigo läßt sich einreden, er könne für Geld bei der allseits begehrten Desdemona landen. Zur Strafe streckt ihn die Requisite einen Abend lang vom Stiefel bis zur Achsel in Seemannsgummihosen. Jago (Peter Pagel) stellt es geschickter an. Der Machtmensch hat die zivilisatorische Spaltung zwischen eigenem Empfinden und taktischem Verhalten schon verinnerlicht und bringt es durch schlaues Taktieren fertig, Othellos Vertrauen in Desdemona zu erschüttern und durch gezielte Verdächtigungen die Liebe der beiden zu zerstören. Auf sein Schuldenkonto geht die Verbreitung der bislang unbekannte Krankheit Eifersucht, die die Beziehungen verseucht.

Solange die Shakespearschen Schlachten noch auf offenem Gelände zwischen moralisch korrupten Politikern und den Liebenden geschlagen werden, macht das übersteigerte Powerplay der Regie Sinn. Die hyperrealistischen Sichtbetonwände, zwischen denen Amok gelaufen wird, bilden eine moderne Stierkampfarena. Keine Modernismen, keine TV–Monitore vermüllen das klare Bühnenbild. Kaum aber werden die Formate kleiner, rücken die Wände den Theaterraum auf Zimmergröße zusammen, gehen die Proportionen verloren. Matthias Brenner, der mit seiner gemütlichen Beleibtheit eh nur mit Mühe den erfolgreichen Feldherrn Othello glaubhaft machen kann, und dessen Verhältnis zu Desdemona unplausibel bleibt, gibt nun im Schlafzimmer die Zirkusnummer eines Tanzbären.

Je dringender die Sorgen auf der Bühne werden, je verzweifelter Desdemona Othellos Liebesgeschenk, das berühmteste Taschentuch der Weltgeschichte, sucht, desto offensichtlicher werden die Mängel des Regiekonzepts. Vollends peinlich dann die Lösung des Konflikts. Läßt Shakespeare schon Desdemona im Ehebett ermorden, wagt sich Hoffmanns Regie an eine voyeuristische Mischung aus Kopulation und Erdrosselung auf der Bühne. Bei aller Liebe für modische Sado-Maso-Tendenzen, was da auf der mittlerweile fast ins Publikum hineingeschoben Bettstatt geboten wird, hätte man lieber nicht gesehen. Eh stellt sich bei der Inszenierung in der zweiten Hälfte des Abends ein gewisser E.A.Poe-Effekt ein: Die anfangs faszinierenden Betonwände des Malers Ben Willikens scheinen, je näher sie rücken, alle die in ihnen leben müssen, lebensgefährlich zu bedrohen - in erster Linie jedoch die Schauspieler.

Susanne Raubold

Nächste Vorstellung: Heute, 19.30 Uhr, Schauspielhaus des Bremer Theaters