Zwischen den Rillen
: Songs in the Key of Life

■ Songprotokolle aus dem Nahfeld: Ani DiFranco und Jayne Cortez

Sie kommen aus London, New York, Birmingham und Buffalo. Und treffen sich einmal im Jahr in Bremen. Der Anlaß ist das „Women in (E)motion“- Festival, ein Musikereignis, bei dem Frauen aus den Provinzen Soul, Jazz, Gospel und Folk zu Wort kommen. Die Veranstaltung möchte jedoch kein Forum für „Frauenmusik“ sein. Männer sind zu den Konzerten zugelassen, nicht nur als Zuhörer, sondern auch als Begleitmusiker auf der Bühne.

Aus den Auftritten des Festivals der letzten Jahre hat das junge Plattenlabel „Tradition & Moderne“ eine CD-Serie gemacht, die sowohl Selbstdokumentation ist als auch Vorstellung nach außen. Die beiden aktuellen Produktionen featuren Musikerinnen aus sehr unterschiedlichen Milieus der amerikanischen Popularmusik – mit immerhin einer Gemeinsamkeit: Ihre Songtexte sind wenig verschlüsselt – explicit lyrics, die aufs Zentrum losgehen, am liebsten intervenieren wollen.

Die Amerikanerin Ani DiFranco sieht aus wie ein Riot Grrrl, steht aber musikalisch matrilinear in der weißen Country-Folk-Tradition, wie sie von Joan Baez, elaborierter von Joni Mitchell im Zuge des Folk-Revivals der Sechziger entstand und in den letzten Jahren von Michelle Shocked, Penelope Houston und anderen mit Hilfe einer „akustischen“ Seitenlinie des Postpunk umformuliert wurde. Die Afroamerikanerin Jayne Cortez dagegen arbeitet vor dem Hintergrund schwarzer „Jazz Poetry“, wie sie auch das Berliner JazzFest vorstellte.

Ani DiFranco ist ihre eigene Band, Frontfrau, Gitarristin und „Girl“. Ihr Folk ist akustischer Grunge, ihre Stimme ein Springmesser, mit dem sie den Alltag seziert. Für allzu viel starre Theoriebefolgung ist in diesem Universum kein Platz, es ist zu klein und auch zu groß, zu „persönlich“ und zu fremd, so daß man die Augen scharf darauf richten muß, um noch Konturen zu kriegen. Der Blick einer 23jährigen: Kleine Episoden und Begebenheiten aus dem Nahfeld, Songprotokolle: über das Betatschtwerden in der überfüllten U-Bahn, Anmachversuche „in some stupid bars“ – häßliche, kaputte Männerwelt eben.

Aber trotzdem und deswegen auch Verlassenheitsgefühle, Beziehungs-GAU und Daseinsblues. Die harte Schule: Was macht dich tough, was bricht dir bloß das Herz? Und wie oft kannst du hinfallen, um wieder aufzustehen. Songs in the Key of Life: Drastischer Realismus eines dieser all american-Scheidungskinder, schon mit fünfzehn auf sich allein gestellt, Gelegenheitsjobs, Überleben als Straßensängerin. Aber bei allem Horror ist DiFranco doch kein bereitwilliges Opfer: „I sing something for the war that I fight, 'cause every tool is a weapon, if you hold it right.“

Das würde allerdings auch Jayne Cortez unterschreiben, die weder Vokalistin noch Lyrikerin im landläufigen Sinne ist, Cortez ist Jazzpoetin. Über Grooves von Bass, Drums und Gitarre rezitiert sie eigene Verse – ein wenig im Tonfall eines schwarzen Südstaaten-Priesters. Die Wortsprache steigert sich zum Sprechgesang, der sich zu einem fast ekstatischen Singsang hochschraubt. Der Mundraum wird zur talking drum – Sätze in Trommelrhythmen. Das Saxophon nimmt den Tonfall auf und bläst Feuer in das Geschehen, bevor Cortez wieder einsteigt, ihren black talk fortsetzt.

Und immer noch – oder wieder – sind wir hier bei den Sechzigern. Politische Themen sind für die alte Aktivistin der schwarzen Bürgerrechtsbewegung kein Schnee von gestern, Unrecht erzeugt Rage, Machenschaften verlangen nach Kommentaren, das social life kann doch nicht einfach so hingenommen werden. Und ist das am Ende nicht doch auch der Talkin' Blues der Neunziger Jahre? Christoph Wagner

Ani DiFranco: „Women in (E)Motion“. T&M/Indigo 105.

Jayne Cortez & the Firespitters: „Poetry & Music“. T&M/ Indigo 106)