Rohe Nahrung ohne Tötung

Die Pyrotechnik weicht der Biotechnik, aus Alchemie wird Algenie, aus Feldern Reagenzgläser: Genfood – Das Gold des Midas  ■ Von Gerburg Treusch-Dieter

Sie wird boomen, die „Eßrevolution“. „Genfood“ wird in aller Munde sein. Genmanipulierte Mikroorganismen machen möglich, daß die „Welt“ noch einmal an ihrem starting point beginnt. Ganze Stoffwechselwege sollen umgebaut werden. Kein Genbaustein wird auf dem anderen bleiben.

Jeremy Rifkin markiert in seinem Buch „Genesis zwei. Biotechnik – Schöpfung nach Maß“ die gegenwärtige „Epochenschwelle“ durch die Konfrontation zweier Produktionsweisen, hier des pyrotechnischen, dort des biotechnischen Verfahrens. Der biotechnische starting point der „Eßrevolution“ verweist auf den Endpunkt der Pyrotechnik, der Produktionsepoche des Feuers. Ihre Nahrung ist aufgezehrt. Sie wurde ohne Rücksicht auf Verluste für Eßbares und Nichteßbares verfeuert, insofern „unser gesamtes Wirtschaftssystem ... auf fossilen Brennstoffen beruht“.

Ans Licht des Tages geholt, wurden diese „Überreste“ geschmolzen, gegossen, geschmiedet und gebrannt, soweit sie im Produktionsbereich als tote Materie galten; auf die getötete Materie im Reproduktionsbereich wurde dasselbe Verfahren angewandt. Zerkleinert, wurde sie in Töpfe und Pfannen gepreßt und gegart, um sofort oder später, haltbar gemacht durch Feuer, verzehrt zu werden.

Aufgelöste Körper

Doch nun beginnt sich ein „neues revolutionäres Verfahren abzuzeichnen, ein Verfahren von so weitreichender Bedeutung, daß es die Beziehung der Menschheit zu ihrem Planeten von Grund auf verändern wird“, ebenso die Beziehung des Menschen zu sich selbst. Von diesem starting point aus verspricht dieses Verfahren, was noch nie versprochen werden konnte: Rohstoffressourcen, die nie zu Ende gehen werden, wieviel auch immer die Industrie oder der Esser Mensch verzehren.

Dabei wird an die Stelle der toten Materie die lebende treten; die fossilen Rohstoffe werden durch nachwachsende ersetzt. Das angewandte Verfahren ist das der In- vitro-Neukombination von DNS, mit dem das genetische Material nicht verwandter Organismen verbunden werden kann.

Für die Frage, wie sich die Beziehung der Menschheit zu ihrem Planeten und die des Menschen zu sich selbst verändern wird, sind die beiden Begriffe „Alchemie“ und „Algenie“ entscheidend, wobei die alchimistische Methode der Pyrotechnik zwar tote und getötete Materie umwandelt, dabei aber von der je spezifischen Einheit stofflicher Formen oder körperlicher Gestalten ausgeht. Dagegen bezieht die algenistische Methode der Biotechnik sich keineswegs mehr auf eine solche Einheit der Mikro- oder Makroorganismen, sondern strukturiert die lebende Materie um oder neu – bis hin zu Formen und Gestalten, wie sie auf Erden nie vorher existiert haben.

Denn für die algenistische Methode der Biotechnik sind Artenschranken nicht mehr bindend. Jeder Organismus fungiert als ein „Bündel von Beziehungen“, die ebenso anders oder neu kombiniert werden können. Jeder Organismus drückt nur noch einen augenblicklichen, vorübergehenden „Zustand“ aus. Eine repräsentative „Stufe“ in der Hierarchie der Lebewesen, deren höchste der Mensch darstellt, kommt keinem Organismus mehr zu.

Verspeister Wirt

An die Stelle des pyrotechnischen Buchs der „Natur“ und der „Maschine“ mit seiner alchimistischen Methode, tritt in der Biotechnik die algenistische Software, die letztlich auf vier DNS-Buchstaben rekurriert. Kein Lebewesen, das durch Genmanipulation nicht „umgeschrieben“ werden könnte. Die „Schrift“ dieser Software ist eine letzte Metapher für das, was bild-, gestalt- und körperlos Erbinformation genannt wird, die ohne einen Mikro- oder Makroorganismus nicht existieren kann. Sie ist auf eine Wirtszelle angewiesen. In dem Maß aber, wie der Mensch als Esser zum Wirt für diese Wirtszellen wird, die sich genetisch parasitär zu ihm verhalten, könnte es sein, daß auch er „gegessen“ wird. Was der Mensch bisher nicht einmal für die Zeit nach seinem Tode akzeptierte – die Tatsache, daß er von Kleinstlebewesen zerfressen wird, eine Tatsache, der er mit pyrotechnischen Verfahren der Bestattung längst schon begegnet –, diese Tatsache hat der Mensch innerhalb der Genfood-Nahrungskette bereits vor dem Tode zu akzeptieren.

Kochendes Leben

Zwar wird es in der biotechnischen Bewirtschaftung des Lebens weiterhin der Geist des Menschen sein, der in die Materie eingreift. Aber dieser Geist ist weder feuer- analog noch ist seine Produktivkraft das Feuer. Er ist nicht über die stoffumwandelnde menschliche Arbeit vermittelt, sondern sein Mittel ist die stoffumschreibende Genmanipulation; an die Stelle der „Natur“ treten Lebensformen, die es nie zuvor gegeben hat.

Durch den biotechnischen Geist, der die lebende Materie sich selbst „umschreiben“ läßt, wird der pyrotechnische Geist obsolet, der von einer toten oder getöteten Materie ausgeht, die durch eine sich verlebendigende Arbeit umgewandelt wird. Diese Arbeit ist das Kochen, das, umgekehrt, die Materie noch einmal „tötet“ und damit läutert, indem sie vom Rohen zum Gekochten, vom Ungaren zum Garen wird. Indem das Rohe durch Wärme und Feuchtigkeit kocht, wird pyrotechnisch die „Urzeugung“ wiederholt, die in alchimistischer Sicht Leben durch Feuer entstehen läßt, das in allem Lebendigen erhalten ist. Gleichzeitig wiederholt das Kochen die „Urzeugung“ auf einer höheren Stufe. Denn es ist stoffumwandelnde menschliche Arbeit, eine Läuterung des Rohen, das für den Menschen vervollkommnet wird. Der Mensch begreift sich als höchstes und damit als weniger rohes Lebewesen als die, die er verspeist.

Je länger das Getötete im Kochgefäß – das dem menschlichen Körper gleicht – gart, desto besser wird die Scheidung zwischen Höherem und Niederem, Wesen und Unwesen, Garem und Ungarem der Nahrung sein, desto vollkommener ist der menschliche Verdauungsvorgang.

Wimmelnder Kot

Während die „Koch-Kunst“ von einer rohen und getöteten Materie ausgeht und ihre „Tradition,

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Würde und Integrität“ darin besteht, daß die Materie von allem Rohen, und damit auch vom Töten, beim Garen geläutert wird, gilt für die Herstellung von Genfood das Umgekehrte: Sie beginnt mit dem, was bei der alchimistischen Stoffumwandlung, sei es beim Kochen oder beim Verdauen, ausgeschieden wird.

Dieses Ausgeschiedene ist „schon wieder“ oder „noch immer“ roh. Es ist „Kot“, in dem sich Millionen von unsterblichen Mikroorganismen verbergen, deren körperliche Gestalt schon wieder verschwunden oder noch nicht entstanden ist. Die Spender-DNS dieser wimmelnden „Winzlinge“ ist es, die durch weitere „Winzlinge“ – Plasmiden, Phagen oder Retroviren – übertragen und in weitere „Winzlinge“ eingeschleust wird; diese „Kleinstlebewesen“ sind es, die als roher starting point von Genfood fungieren, die, so gesehen, unsichtbar aus „Kot“ entsteht.

Bezeichnenderweise ist die biotechnisch „beliebteste“ Empfängerzelle ein Bakterium „mit dem wohlklingenden Namen Escheria coli, das aus der üppigen Flora des Darminhalts gewonnen wird. [...] Auf [Nährböden] setzen sich die Bakterien fest und teilen sich, bis Zellhäufchen, jedes aus einer einzigen Ausgangszelle hervorgegangen, zu unterscheiden sind. Übertragen in ein Reagenzglas mit Nährflüssigkeit, stellen sie eine Koli-Reinkultur oder einen Klon dar, den man einfrieren oder indeterminiert weiterzüchten, variieren und um die ganze Welt schicken kann.“ (Scheller)

Durch dieses Verfahren wird nicht nur die Abschaffung von Produktionsanlagen und ihrer langen Stoffwechselwege möglich, sondern auch die von Feldern; sie werden auf Reagenzglasgröße zusammenschrumpfen. An ihre Stelle treten Zellkulturen auf Nährböden.

Beschossene Zellen

Den endgültigen und bombensicheren „Durchbruch“ der biotechnologischen Bewirtschaftung des Lebens wird, laut Fachliteratur, die vor kurzem von dem Team des amerikanischen Konzerns Agrarcetus konstruierte „Genkanone“ bringen. Gegen deren „Biolistic- Verfahren“ hat keine pflanzliche Zellwand eine Chance, wie der inzwischen gebrochene Widerstand von Indica-Reis beweist, dessen Kultursorten mit achtzig Prozent Weltmarktanteilen so ziemlich auf allen Tischen liegen.

Die Konstruktion der „Genkanone“ ist signifikant. Denn sie stellt eine Synthese zwischen pyrotechnischem und biotechnischem Verfahren, zwischen alchimistischer und algenistischer Methode dar. Pyrotechnisch funktioniert sie als Verbindung von Wärme und Feuchtigkeit, von Elektrodenhitze und Wassertropfen, durch dessen Verzischen den Goldpartikeln, die bei dem Verfahren verwendet werden, „Dampf gemacht“ wird – Druck, bis ihr „Particle-Bombardement“ die Zellwände durchbricht. Diesem pyrotechnischen Verfahren ist das biotechnische vorausgesetzt. Denn Plasmide auf den Goldpartikeln werden, von diesen getragen, zu Genüberträgern, durch die in der Pflanze die Stoffumschreibung beginnt.

Bezeichnenderweise werden für diesen Endpunkt der alchimistischen Stoffumwandlung, der zum starting point der algenistischen Stoffumschreibung wird, Goldpartikel eingesetzt. Denn das Gold stellt in der Tat den Endpunkt der alchimistischen Stoffumwandlung dar, es war gleichzeitig Inbegriff unerreichbarer Vollkommenheit, da Gold durch menschliche Arbeit nie hergestellt werden konnte. Indem dieser Endpunkt zum Beginn der algenistischen Stoffumschreibung wird, kehrt sich die Voraussetzung dieses Endpunkts um. Das „Gold“ der algenistischen Stoffumschreibung ist nicht mehr die tote, es ist die lebende Materie.

Das Particle-Bombardement, das die Reispflanze trifft, ist signifikant dafür, wie die körperlichen Einheiten der Lebewesen durchbrochen und in Wucherungen aufgelöst werden. Doch je mehr Stoffwechselwege umgebaut, je mehr Artenschranken und -grenzen überschritten, je mehr stabile Zellwände instabilisiert, je mehr Zellkerne ausgekernt werden, je mehr DNS bakteriell verpackt oder nackt übertragen wird, desto mehr wird sich die Nahrung in ihr Gegenteil verkehren.

Entscheidend ist die heimliche Revolution in der lauthals verkündeten Eßrevolution, die Enzymtechnik. Mit ihrer katalysatorischen Funktion soll sie der lebenden, sich teilenden und vermehrenden, sich scheidenden und ausscheidenden Materie in dem Maß neue, beschleunigte Stoffwechselwege erschließen, wie sie außerhalb der körperlichen Einheiten als transgene Biomasse wuchert. Mit ihrer katalysatorischen Funktion ist nicht nur die Herstellung von Genfood in ein neues Stadium getreten, sondern die Biotechnik überhaupt.

Unverwesliches Feuer

Botschaft und Ziel der Eßrevolution übertreffen sich mit der Enzymtechnik selbst. Denn sie entfesselt das „Leben“ in der lebenden Materie, indem sie in ihrer geklonten und transgenen Biomasse das „Biofeuer“ neuer Stoffwechselprozesse eröffnet, ob sie noch in Pflanzen und Tieren oder nur noch in Mikroorganismen und Zellen erschlossen werden. Die Enzymtechnik wird es sein, die nicht nur das Feuer selbst, sondern auch das Kochen erübrigen wird.

Die Beziehung des Menschen zu sich selbst wird sich verändern bis dahin, daß sein Stoffwechsel nicht nur vom Geist her in Frage steht: Schon jetzt lagern sich im Gehirn nicht mehr zu entsorgende Proteine ab; für das erste Viertel des 21. Jahrhunderts sind deshalb molekulare Katastrophen unter der Schädeldecke vorausgesagt. Diese Unfähigkeit zur Ausscheidung, ein Effekt des Protein-Engineering, weist auf das Gegenteil des Geistes hin. Denn wie Genfood dem Esser Mensch eine rohe Nahrung ohne Tötung und auch ohne Tod verspricht, dessen Abwesenheit sich in einer unendlich nachwachsenden Biomasse aus unsterblichen und transgenen Kleinstlebewesen materialisiert, könnte es doch sein, daß auch die Ausscheidungen dieses Essers ausbleiben.

Schon jetzt unterbleiben bei enzymtechnischen Fermentationen die Stoffwechselnebenprodukte; es wird nichts ausgeschieden. Die fermentierenden Kunstenzyme, Pectinasen und Proteasen sind stabil und resistent. Sie können wiederverwendet werden. Sie entzünden mit ihrem „Biofeuer“ einen Stoffwechselprozeß, der alles behält, der alles vereinnahmt, der sich alles einverleibt. Das Unwesen der Verwesung ist im Prozeß des „Vergärens“ ausgeschieden.

Warum sollte also der Esser Mensch, der eine so hergestellte Nahrung sich einverleibt, seinerseits noch etwas ausscheiden? Sein Darmtrakt wird schrumpfen in dem Maß, wie er die aggressiven und aktivitätsgesteigerten Proteine im Gehirn, im Geist, ablagert. Er wird die sein Erbe beerbende, genetisch parasitäre Biomasse in sich behalten, ganz und ungar. In ihm wird sie einen umgekehrten Midas-Effekt produzieren.

Midas zehrte sich angesichts seines Goldes auf, das alchimistisch die unerreichbare Vollkommenheit des Geistes und die sich ihm entziehende Vollkommenheit der Natur repräsentierte. Das Ziel dieser Vollkommenheit und die unter seiner Voraussetzung gegebenen Endpunkte sind verschwunden. Alles ist erreichbar und machbar geworden. Die „goldene Helix“ der DNS ist zu einem zehn Milliarden Kilometer langen Faden ausgezogen. Er kann gegessen werden.

Doch die Kombinationen der DNS-Buchstaben von Plasmiden, Phagen, Retroviren, Viren, Pilzen, Hefen, Bakterien oder Enzymen werden sich summieren in dem Maß, wie der Esser Mensch sich durch Genfood „alphabetisiert“. Midas zehrte sich angesichts der doppelt unerreichbaren Vollkommenheit des Goldes auf. Beim Esser Mensch wird es sich umgekehrt verhalten. Die einfache Erreichbarkeit dieser Kleinstlebewesen, die heute an die Stelle des Goldes getreten sind, zehrt ihn in dem Maß auf, wie er nichts mehr ausscheiden wird.

Denn dem Gold dieser Kleinstlebewesen, ihrer unsterblichen, lebenden Materie, wird das Unwesen der Verwesung ausgetrieben. Schon Midas betete das unverwesliche Wesen des Goldes an. Doch da es ihm doppelt unerreichbar und tote Materie war, wurde er – verwesend – unsterblich. Dem Esser Mensch steht als Wirt das Gegenteil ins Haus. Er wird – unverwesend – in der biotechnischen Produktionsepoche sterblicher sein, als er es in der Produktionsepoche des Feuers je war.

Die Autorin ist Soziologin und Lehrbeauftragte am Kulturwissenschaftlichen Institut der Berliner Humboldt-Universität. Literatur: J. Rifkin: „Genesis zwei. Biotechnik – Schöpfung nach Maß“. Hamburg 1986; R. Scheller: „Das Gen-Geschäft. Chancen und Risiken der Bio-Technologie“, Köln 1988.