Nachschlag

■ „Salon der Zungen“ im Roten Salon der Volksbühne

So muß es in den famosen zwanziger und dreißiger Jahren gewesen sein. Ein wenig verrucht. Ganz schön plüschig. Äußerst extravagant. Der Raum ist in weichem Weinrot gehalten wie auch die Sofas und die Sessel. In die Decke sind gewaltig-schnörkelige Leuchterschalen eingelassen. Man trinkt Prosecco und Bier und raucht, vor allem das. Nirgendwo ließe sich angemessener über Sinne und Geschmack plaudern als in so einer Atmosphäre. Ansonsten kennt man das Procedere einer „Talk-&- Taste-Show“ aus dem Fernsehen. Auf einer kleinen Bühne sitzen Experten, und wenn alles gut geht, hat das Publikum sein Vergnügen. Zur Einstimmung ist der Gast schon von „Souffleuren der Sinne“ (Gruppe Schwarz-Gelb) empfangen worden, auf den Tischchen liegen gelierte Geschmacksproben – Granatapfel, Zitrone, Selleriesalz, Wermut – vom Koch Peter Frühsammer, in der Pause gibt es Speisen mit aphrodisierender Wirkung: Austern, Datteln, Zimtstäbe. Alles lutscht und schlürft und kostet, die Verkaufsdamen mit ihren Bauchläden sind sehr, sehr sinnlich und schwarz bestrumpft und die Moderatorin Sabine Gieschler ist sehr attraktiv und fasziniert von allem und ihren Gesprächspartnern. Da kann nichts schiefgehen.

Das tut es dann doch. Der Psychoanalytiker Claus-Dieter Rath erzählt Anekdoten von einem kalabresischen Schamanen. Nett. Der Kaffeeschmecker Carlo Delfs erzählt, wie er aus x Sorten die ideale Durchschnittsbohne zusammenmischt und morgens in fünf Minuten und 60 Tassen das Resultat verkostet. Interessant. Und von Frühsammer ist zu erfahren, daß er heute lieber Wurstsalat macht statt dem ollen Hummersoufflé an Himbeerzabaione. Auch recht. Nur hängt nun der Schamane mit dem Kaffee und dem Wurstsalat recht unverbunden in der Luft des Roten Salons – was jetzt? Nix. Zielstrebig reden die Experten aneinander vorbei, keiner interessiert sich für den anderen. Schade. Fast 70 Prozent der Nahrung ist heute industriell verarbeitet, 10.000 neue Produkte werden jährlich in Westeuropa auf den Markt geworfen, die Food-Designer suchen unseren Gaumen zu übertölpeln, der Forschungsetat von Nestlé beträgt 200 Millionen Franken im Jahr. Eine gewaltige Schlacht tobt da um unsere Sinne.

Kein Wort davon und auch keines über die Austern und die Geschmacksproben ... Daß es anders gehen kann, zeigte eine Woche zuvor der „Salon der Nasen“ an gleichem Ort: Ein witziges Podium, das fragte und sich Ideen zuwarf, ein Publikum, das sich launig einmischte. Wer bei der Nase war, hatte eindeutig den besseren Riecher. Herr Thömmes

Förderverein Museum der Sinne e.V. c/o Angelika Sommer, Boppstraße 9, 10967 Berlin.