You are leaving the sector

Zahlreiche Baustellen und unklare Verkehrsverhältnisse machen Spaziergänge auf der Friedrichstraße zu einem nervenaufreibenden Slalom  ■ Von Peter Lerch

Im Gegensatz zu einer Hühnerleiter ist die Friedrichstraße lang und beschissen. Hier, im Herzen der Stadt, liegen allein 20 der insgesamt 20.000 Baustellen, deren Lärm die Anwohner bis tief in die Nacht hinein nerven. Doch nicht nur das Gekreische der Kräne und Baumaschinen belästigt Einheimische und Ortsfremde, auch Passanten und Kraftfahrer leiden unter den ehrgeizigen Maßnahmen der Hauptstadtmodernisierung.

Schon auf der Höhe der Besselstraße, die man auf Grund aktueller Ausbesserungsarbeiten nur überqueren kann, wenn man bereit ist, geschmolzenen Asphalt an den Schuhen in Kauf zu nehmen, vergeht einem die Lust am Spaziergang. Bereits 50 Meter weiter, hinter der Wache des Polizeiabschnittes 53, zwischen Parkhäfen rechts sowie U-Bahneingängen und in Fahrtrichtung abgestellten Polizeiwannen links, beginnt die städtische Hauptschlagader endgültig zum Verkehrshindernis zu werden. Neun eingezäunte Container und ein Möbelwagen lassen bestenfalls noch einspurigen Verkehr zu. Noch einmal 50 Meter weiter vorn, wo ein diesmal auf der linken Straßenseite eingezäuntes Baugelände die Straße endgültig blockiert, können sich die Fußgänger zwischen einem Bretterzaun und einem Schuhgeschäft zur Kochstraße durchquetschen.

Am Checkpoint Charlie sieht die städtische Schandrinne trotz eines bis zur Fahrbahnmitte reichenden Baugeländes zunächst durchaus gradlinig befahr- und begehbar aus. Bei weiterem Vordringen entpuppt sich das jedoch als Trugschluß, da die bis zur Zimmerstraße reichende Baustelle vom Fußgänger eine fliegende Rochade zur anderen Straßenseite verlangt.

Das nunmehr auf der rechten Straßenseite liegende Schild mit der historischen Aufschrift „You are leaving the American sector“ scheint gleichzeitig darauf hinzuweisen, daß man den Geltungsbereich einschlägiger Übereinkünfte, wie zum Beispiel der Straßenverkehrsordnung, verläßt, um sich als Fußgänger dem Chaos höherer PS- Zahlen auszusetzen. Denn plötzlich gleicht die Straße einer Teststrecke für Formel1-Wagen, und die Autofahrer verhalten sich auch prompt wie auf einer solchen.

Dem Fußgänger wird wiederum ein Seitenwechsel aufgedrückt. Eine Häuserblocklänge geht's an einem Maschenzaun vorbei, dann endet die Fahrspur abrupt an einem Verkehrsschild, auf dem steht: „Hier gilt die StVO“. Nur hilft das nichts mehr, weil der glücklose Autofahrer mit einer die gesamte Straßenbreite einnehmenden Baustelle der BVG konfrontiert wird, die ein Weiterfahren unmöglich macht. Wenigstens hat der Fußgänger die Möglichkeit, unter den Arkarden des Peking-Restaurants vorbeigeleitet zu werden, auch wenn ihm auf dieser Strecke der mittlerweile vierte Seitenwechsel zugefügt wird, der diesmal mitten auf eine Kreuzung führt. Fehlende Straßenschilder lassen diesen Teil des Stadzentrums zudem verkehrstechnisch hinter Mexico City zurückfallen.

An einhundert Metern gelbem Bauzaun entlangflanierend, findet man sich plötzlich vor einer ebensogelben Wand wieder, die einem unmißverständlich klarmacht, daß ein erneuter Seitenwechsel angesagt ist. Ein waghalsiger Sprint über improvisierte Bürgersteige, und dann geht's durch eine zwei Meter breite Wanderrinne an zivilisatorisch einwandfreien Konsumtempeln links und kreischenden Baustellen rechts vorbei. Wenigstens haben die Straßen wieder Namen. Ab Behrenstraße wird die Strecke auch für Autofahrer wieder einspurig befahrbar – das interessiert die Kraftfahrer jedoch nicht sonderlich. Das Risiko, von Baustofftrucks behindert zu werden, relativiert die Zeitersparnis.

Nachdem der Fußgänger zur Straße Unter den Linden vorgedrungen ist, scheint die Friedrichstraße endlich uneingeschränkt passierbar – was sich jedoch bereits nach 80 Metern als Illusion entpuppt, weil schon wieder eine Baustelle die Straße schmälert und Passanten auf die andere Straßenseite zwingt. Erst nach der Überquerung der Clara-Zetkin-Straße normalisiert sich die Straßenlage. Aber dort ist es dann auch schon wieder uninteressant, weil ab S- Bahnhof Friedrichstraße die Straße endgültig gesperrt ist.