Wand und Boden
: Roger Rabbitt sprengt das Format

■ Kunst in Berlin jetzt: Roth/Stauffenberg, Majerus, Die Bücher der Künstler

Welcome in echoland! Woher das steril-strahlende Paar mittleren Alters stammt, das unter dem Titel „Kegeln im Verein ist am schönsten“ in U- und S-Bahnen plakatiert ist, ahnt man nach dem Besuch von „timecodes“ von Christopher Roth und Franz Stauffenberg bei Wiensowski & Harbord mit einiger Gewißheit: The Image Bank. Die Bildagentur Image Bank kennt Bilder nur als konsumentengerecht gepackte Motivgruppen, nach Nummern sortiert, 01 für „people“, 02 für „monument“ oder 05 für „landscape“, 07 für „urban“ und 08 für „themepark“. Folgen Jahreszahl, Bild- und Einzelmotivnummer; der Autor bleibt uncodiert, anonym.

Diesen Supermarkt der trivialen Bilder haben Roth und Stauffenberg bearbeitet. Ihre Stills, zu Bildtafeln zusammengesetzt, zeigen eine deutliche Anti-Ästhetik zur unerbittlichen Brillanz der Bankbilder. Beibehalten haben sie deren motivische Informationsarmut (zu der die Verkäuflichkeit der Bilder proportional ist); den reduzierten Ausschnitt, der den schäbigen Globus der Weltausstellung in New York und den stumpfen Beton von Brasilia, beliebig codiert, als 08, 02, 05 oder 07 in Umlauf bringt. Der Nachhalleffekt ist gemein.

Auch Roth/Stauffenbergs 15-min-Videoschleife „Happier Days“, aus original Image-Bank- Clips gesampelt, hält infamerweise, was der Titel verspricht: Glückliche Paare feiern glückliche Hochzeiten und saubere Vorstädte sehen aus wie bei Jeff Wall – ohne dessen Tatort gewalttätiger familiärer Auseinandersetzungen zu sein. Freeze, rewind, hin und wieder purzeln mehr oder minder redundante Textinserts durchs Bild; loop, endlos wird auch der Soundtrack aus Versatzstücken der Kaufhaus- oder Flughafen-Muzak mitgeführt. Hätte Gott am siebten Tag eine Präsentation vorlegen sollen, schreibt der Filmemacher Christopher Petit im Katalog, sein Werbefilm hätte ungefähr so ausgesehen. Das ist ziemlich wahrscheinlich. Der Teufel hätte auf die Kegler im Verein gesetzt. Andererseits ist die Hölle natürlich „another just-like-yesterday day in paradise“. Loop.

Bis 18.12., Fr-So 15-19 Uhr, Goethestraße 69, Charlottenburg.

Wenn im Anschluß daran hinter allen öffentlichen Bildern der timecode programmgemäß aufscheint, hofft man plötzlich dringend auf antiquierten Trash, Graffiti, Comic. Auf das, was MTV entlarvend „art break“ nennt. Pausenkunst. Die nebenan bei neuger/riemschneider in die Galerie verlegte Asphaltstraße stimmt optimistisch. Roh ist Road Runner auf weißes Einschlagpapier gepinselt und an die rechte Galeriewand tapeziert. Darüber sind zwei quadratische Tafelbilder gehängt, „Fußnoten“, wie der Künstler Michel Majerus sagt, zum wandfüllenden „dead sucker“-Dipthychon gegenüber. Sie erinnern an Stella und de Kooning, Motive, die auch in den Partien verdichteter Malweise von „dead sucker“ zu finden sind. Ihr Ausgangspunkt ist aber die typische Comicform der schwarzen Pupille mit dem Lichteinfall als weißer Kreis. Majerus gewinnt seine malerische Abstraktion aus der knallbunten mit schwarzen Umrißlinien und typografischen Einsprengseln zusammengehalten Fläche des Comic, die er explodieren läßt. Roger Rabbitt, direkt auf die Wand gegenüber der Fensterfront gemalt, ist dank des „enlarge-o-ray ... “, einer vom Künstler imaginierten Vergrößerungsapparatur, derart gewaltig gewachsen, daß selbst der Hase – mit Hilfe eines eingeblendeten Kleinformats spricht das Bild mit sich selbst – das Gefühl hat, er sollte den Vergrößerungsprozeß stoppen, weil er definitiv das Format sprengt. Dieser Mega-Zoom ist das Gegenteil zum Close-up der Pop-art. Statt dem kältestarrenden, glatten Detail ist das Ergebnis eine fragmentarische, expressive, offene Form, jenseits der Ikone. Gewissermaßen pinboard wizzard, macht Majerus Malerei tatsächlich zum zeitgemäßen subjektiven break.

Bis 23.12., Di-Sa 11-18 Uhr, Goethestraße 73, Charlottenburg.

651(!) „Bücher der Künstler“ sind in der ifa-Galerie ausgelegt. Ein wundersamer Weihnachtsbasar und ein hoffnungsloses Unterfangen, die versammelten Künstler zu nennen, gar zu würdigen. Aber es interessiert auch nicht das Buch als Kunst oder Auflagenobjekt, als Metamorphose und Erweiterung des Tafelbilds, sondern das gedruckte, ganz normale Buch, das vom Künstler selbst, von Verlagen, Galerien und Museen herausgegeben im Bücherregal steht und dort eine Galerie der Gegenwartskunst in nuce bildet; das zum Nachschlagen benutzt wird und eine „Lesemaschine“ ist (Paul Valéry).

Wie diese funktioniert, erfährt man gleich in der ersten Abteilung unter „Fluxus und Happening“. George Brechts BOOK etwa, 1972 bei Michael Werner in Köln verlegt, hat 24 unpaginierte Seiten, was nicht schadet, denn: „This is the page before the title page of the book that tells you what the title is, or was, or is going to be“, danach folgt: „This is the title page“ und so weiter und so fort. Mit diesen Büchern treten die Künstler, die als „Forscher und Sammler“, als „Schriftsteller und Theoretiker“, als „Maler und Zeichner“ oder „Dokumentaristen und Kopisten“ grob rubriziert sind, als Autoren auf. Das Buch ist noch immer adäquates Medium für theoretische, kritische, philosophisch-spekulative Notizen und schriftstellerische Äußerungen. Die Notwendigkeit des Buchs ergab sich mit konkreter Poesie, Konzeptkunst und dem intermedialen Ansatz von Fluxus; das erklärt den Ausgangspunkt der Ausstellung in den frühen sechziger Jahren. Der erweiterte Kunstbegriff brachte dann auch das erweiterte Buch in unerwarteten Formen, das erweiterte Vertriebssystem von Galerien und Kleinverlegern. Kunst mit Fotografie wird hier zuerst praktiziert. Nicht die Aura des Originals, sondern die Reproduktion, die Subversion gegen das Unikat ist das (politische) Zentrum dieser Buchkunst: Schnell und preiswert produzierte und distribuierte Kunst für jedermann. Das sollte noch immer verfangen. „Die Bücher der Künstler“ stehen dafür ein.

Brigitte Werneburg

Bis 15.12., Di-Fr 11-13.30 / 14-18, Sa/So 11-13.30 / 14-17 Uhr, Friedrichstraße 103, Mitte.