Thesen in Schwarz-Rot-Gold

■ Symbolschwangeres Stakkato: Das Jakob van Hoddis Theater spielt „Doktor Hackers Ende“, ein vergessenes Traumstück des expressionistischen Schriftstellers

Hans Davidson, der sich anagrammatisch Jakob van Hoddis nannte, ist einer der großen Unbekannten der deutschen Literatur – obwohl man den jüdischen Schriftsteller zu den Wegbereitern der Moderne zählen kann. 1909 gründete er zusammen mit Kurt Hiller den legendären „Neuen Klub“, einen der ersten expressionistischen Literatenzirkel in Deutschland. Doch der 1887 in Berlin Geborene hinterließ nur ein schmales Werk: Lediglich sieben Jahre lang hat er geschrieben, von 1907 bis 1914. Danach verfiel er in das, was man damals geistige Umnachtung nannte.

1942 wurde er von den Nazis aus dem jüdischen Pflegeheim, in dem er lebte, in ein Vernichtungslager deportiert und dort ermordet. Seine Lyrik und Prosa, die mit knappen, schneidenden Worten die entwurzelten Großstadtmenschen inmitten einer immer mehr von Technik bestimmten Welt beschreibt, geriet schon zu seinen Lebzeiten völlig in Vergessenheit.

Um so größer sind die Erwartungen, wenn ein Theater eines seiner Werke zur Grundlage für ein Stück macht. „Doktor Hackers Ende“ eignet sich dafür vorzüglich. 1913, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges geschrieben, ist es die Erzählung einer apokalyptischen Vision. Aus der urdeutschen Mär vom Intellektuellen auf Sinnsuche macht van Hoddis eine alptraumhafte Reise durch Mythen und Philosophien, Vergangenheit und Zukunft. Das ist klaustrophobisch und komisch zugleich, zitiert Kafka, nimmt Charms und Valentin vorweg. Ein Riesentheaterstoff.

Der theatralische Nacherzähler Anton Dick Boldes packt den Veitstanz zwischen Traum und Realität in eine assoziative Collage. Zwei SchauspielerInnen – ein Mann und eine Frau – in wechselnden Rollen sind sein Personal. Am Bühnenrand sitzt zusätzlich ein etwas unterbeschäftigter Musiker, der ab und zu das Klavier und den Baß bedient.

Schon im Prolog macht Boldes deutlich, worauf er hinauswill: Zwei Clowns malen Schilder mit Daten deutscher Geschichte: 1914, 1933, 1989. Auf den dreimaligen kollektiven Aufbruch in Richtung Großmachtssehnsucht soll das hinweisen, eine derzeit bei der Linken ebenso beliebte wie falsche Verknüpfung historischer Fakten. „Die nächste Katastrophe auf der Welt heißt Deutschland“ lautet dazu der rotznasige Kommentar.

Schwarz-rot-gold bleibt der Faden im folgenden Bilderbogen, auch nachdem die Schauspieler die Nasen abgelegt haben. Derart eingefärbte Stoff-Fahnen quellen zu Hauf aus Anzugärmeln und Schußwunden. Doktor Hacker ist eine naive Intellektuellenschablone, grüblerisch schwankend zwischen Anarchie und Unterwürfigkeit, Todessehnsucht und Überlebenswillen. Wie die Deutschen halt so sind. Eine alptraumwandlerische Zustandsbeschreibung der Situation im wiedervereinigt-großmachtslüsternen Land will das sein. Und die Endzeit lugt aus jeder Ecke hervor.

Der Regisseur kleistert seine These derart mit symbolschwangeren Bildern zu, daß am Ende nur noch die Beliebigkeit bleibt. Klare Figuren gibt es in dieser Flut der Chiffren ebensowenig wie eindeutige Situationen. Dr. Hacker geistert als glupschäugiger Hanswurst durchs Zitatenmeer. Papiermännchen mit Judenstern werden in ein Metallkästchen gesteckt, das wie ein Verbrennungsofen aussieht, eine doppelköpfige Hexe mit Nosferatu-Händen taucht auf.

Die Schauspieler sprechen im Roboterstakkato – austauschbare Maschinen als Wirrnis der (deutschen) Welt. Die Bilder und Zeichen, die eigentlich der Logik eines Traumes gehorchen sollen, verkommen durch die endlose Aufhäufung zum expressionistischen Kasperletheater. Jakob van Hoddis ist daran unschuldig. Er harrt weiterhin seiner Entdeckung fürs große Publikum. Gerd Hartmann

„Doktor Hackers Ende“, 26./27.11. und 2.-4.12., 20, bzw. 22 Uhr, in der Martha-Kirche, Glogauer Straße 22; 29.11. und 13.12., 20 Uhr in der Werkstatt der Kulturen, Wissmannstraße 31-42.