Giganten im Wartestand

■ Die finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen Berlins sind nicht ausreichend, um aus der Stadt d e n bundesdeutschen Medienstandort der Zukunft zu machen

Kürzlich wagte Eberhard Diepgen wieder einmal einen optimistischen Ausblick. Die „Entscheidungszentren folgen den Medienzentren, die Medienzentren folgen den Entscheidungszentren“. Was der Regierende Bürgermeister anläßlich der 3. Berliner Gespräche mit Medienvertretern in eine bündige Formel kleidete, entspricht wie so vieles in der Stadt eher dem Wunschdenken der hiesigen politischen Klasse als der rauhen Realität. Weder das eine noch das andere ist absehbar: Der Umzugstermin von Regierung und Parlament klemmt, folglich verharren auch die Konzerne im Wartestand.

Noch ist Berlin in der Medienbranche ein Leichtgewicht. Darüber können auch die optimistischen Zahlenwerke der Senatsverwaltung für Wirtschaft nicht hinwegtäuschen. Zwar stieg von 1990 bis 1992 in Westberlin die Zahl der Mitarbeiter in der Branche um 17 Prozent und überflügelte damit die westdeutschen Wachstumsdaten um das Doppelte. Doch der Anteil der Medienschaffenden an der Zahl der Gesamtbeschäftigten lag 1992 bei nur 1,5 Prozent – weit hinter Köln mit 2,9, München mit 2,8 oder Hamburg mit 2,5 Prozent.

Hauptstadt zu sein ist an sich kein Bonus, lautet die warnende Botschaft. Im Zeitalter der Hochtechnolgie werden prestigeträchtige Standorte zur Nebensache. Was zählt, sind die finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen. Dies gilt insbesondere für die Film- und Fernsehproduktion. Länder wie Bayern oder Nordrhein-Westfalen locken nicht nur mit kräftigen Fördermitteln, sondern signalisieren auch personell, welche Bedeutung sie dem Wirtschaftsfaktor zumessen. Dort agieren die Staatskanzleien als Anlaufstellen für Produzenten. Berlin hingegen verwirrt mit einem bürokratischen Geflecht: Mit der Wirtschafts- und der Kulturverwaltung sowie der neugründeten Filmboard Berlin-Brandenburg arbeiten gleich drei Institutionen für die Branche. Die jüngst durch Diepgen erfolgte Ernennung des Senatssprechers Michael-Andreas Butz zum neuen Medienbeauftragten des Landes war als Signal an die Filmwirtschaft zu verstehen, die schon seit längerem einer Zentralisierung das Wort redet. Doch Butz' Rolle, schwammig definiert und von der SPD-Konkurrenz mißtrauisch beäugt, symbolisiert eher die Halbherzigkeit, mit der die Große Koalition sich der Medienlandschaft widmet.

Die Branche handelt derweil nach ihren eigenen Regeln. Während etwa RTL sein Frühstücksfernsehen nach Köln zurückverlagert, gehen ARD, ZDF und Sat.1 den umgekehrten Weg. Die beiden öffentlich-rechtlichen Anstalten verlegen demnächst ihre Hauptstadtstudios an die Spree; der Produzent seichter Unterhaltungsware möchte bis 1996 seine Redaktionen in Berlin, Mainz und Hamburg im Bezirk Mitte unter ein Dach bringen. 200 Millionen Mark und 400 Arbeitsplätze sehen die Kalkulationen von Sat.1 vor. Andere TV-Sender, wie der SFB mit seinem B1-Programm oder die privaten Betreiber n-tv und IA, halten die Stellung – mehr nicht.

Der Markt in der Stadt ist hart, für die zwölf Hörfunkanbieter im Großraum Berlin-Brandenburg ebenso wie für die Printmedien. Mit zehn Tages- und drei Wochenzeitungen rauscht der Blätterwald wie nirgendwo sonst in der Republik. Doch die stolzen Zahlen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß Berlin bis heute keine einzige überregionale Zeitung hervorgebracht hat. Blätter wie der liberal- konservative Tagesspiegel, der nur mit dem Einstieg des westdeutschen Holtzbrinck-Verlages vor einem finanziellen Fiasko bewahrt wurde, konzentrieren sich ebenso auf den hiesigen Markt wie Springers Morgenpost oder die Berliner Zeitung aus dem Hause Gruner + Jahr. Trotz Millioneninvestitionen für Werbung konnten die drei Riesen ihre Auflage im dritten Quartal dieses Jahres gerade mal halten: Der Tagespiegel dümpelt bei 125.000, die Morgenpost stagniert in der 172.000-Marge und die Berliner Zeitung stabilisierte sich trotz leichter Verluste auf 250.000 täglich verkaufte Exemplare. Kleinere Blätter wie die taz kämpfen wie stets ums Überleben.

Der Leser, so wissen alle, ist ein merkwürdiges Wesen, unberechenbar und eigensinnig. So hat sich just ein lange Zeit eher belächeltes Ost-Boulevardblatt, der ebenfalls im Gruner + Jahr-Verlag erscheinende Berliner Kurier, unaufhörlich vorangerobbt. Mit einem Auflagenplus von 3,7 Prozent und täglich 203.000 abgesetzten Exemplaren hat sich das Blatt einen Stammplatz neben BZ und Bild erobert. Severin Weiland