America amada – eine Typologie

Reisende auf dem nordamerikanischen Kontinent von Norden nach Süden. Eine leicht spöttische und nachdenkliche Betrachtung über die passionierten Globetrotter und Bummler zwischen den Welten  ■ Von Ina Kerner

Gemeinsam ist ihnen allen: irgendwie lieben sie's. Freisein. Traveln. Geile Hochhäuser. Riesige Wüsten. Tacos mit Mariachi. Politisch hochkorrekte Soli-Aktionen. Natürlich sind viele betroffen ob schlimmer Armut, repressiver Regime oder allzu vieler Cheeseburger und Kulturlosigkeit.

Vancouver, Garett: Das Leben ist Sex (Typ: Generation X, canadian version). Er ist schön, feminin und hat gerade das College abgeschlossen. Steigt in der miesesten Herberge der Stadt ab. Sein Freund, mit dem er gerade vom treeplanting kommt – Lieblingsbeschäftigung junger KanadierInnen im Sommer: „it's great, man, you work hard, make a lot of money and party all night; the rest of the year you collect unemployment insurance“ –, hat sich ein 25 Jahre altes Auto gekauft. Mit dem wollen sie in den Süden fahren, wenn es denn mal aus der Werkstatt kommt... Garett läßt sich derweil einen Penis-Ring stechen, zeigt ihn stolz rum und philosophiert über die antipatriarchalen Implikationen.

Winnipeg, Moni: Hast du eigentlich eine Bus-Monatsfahrkarte oder eine Zug-Monatsfahrkarte? (Typ: mitteleuropäische Normalreisende in neuem Fleece- Pulli). Moni ist Krankenschwester, eigentlich aus Schwaben, aber jetzt wohnt sie bei Wien, weil: ihr Freund wohnt dort, und mit dem reist sie jetzt durch Kanada und noch mit ihrer besten Freundin, die ist auch Krankenschwester. Sechs Wochen. Am Nachmittag haben sie Rehkitze gesehen, im Park, scho liab. Leider haben sie die Bus- Monatsfahrkarte statt der Zug- Monatsfahrkarte, hätten sie das mal gewußt: man fährt ja immer so lang. Und die Glasdachwägen in den Zügen sollen wirklich beeindruckend sein. Aber dafür fahren sie nach Edmonton, zum größten Einkaufszentrum der Welt. Das muß man gesehen haben.

Banff Nationalpark, Sabine: Vielleicht bleib' ich auch hier (Typ: heimkehrende Tochter? Aber wo ist zu Hause?). Sie hat gerade ihre Wohnung in Kreuzberg aufgelöst, endlich hat sie's gepackt, und jetzt ist sie zufrieden. In New York hat sie ihre Mutter getroffen, zum ersten Mal, und es war eigentlich ganz gut. Mit ihrem Vater hat sie erst einmal telefoniert und ist jetzt auf dem Weg zu ihm. Mal sehen...

Seattle, Joseph: Ich hab' auch schon sieben Toaster heimgeschickt (Typ: schmunzelnder König der Reisenden). Joseph redet Schwyzerdütsch, und in seinem letzten Leben war er Stationsvorsteher und Toastersammler. Er hat auch Fotos von seiner Toastersammlung dabei und von seiner Espressomaschinensammlung. Auf den Fotos stehen Toaster wie Espressomaschinen silbern blinkend auf vollendeten selbstgebauten Regalen, die er mit Muße schreinern konnte, denn es kam bloß jede Eineinviertelstunde ein Zug. Daß er Fotos von seinen Toastern und Espressomaschinen dabeihat, zeugt von wahrhafter Sammlerleidenschaft. In seinem heutigen Leben ist er Radfahrer. Von Alaska nach Feuerland.

Guanajuato, Nancy: And then I just sold everything and left (Typ: pinkbebrillter mexican dream). Nancy ist Anfang 40, aus L.A., Cal., U.S. Sie sitzt im „La Bohemia“ beim Frühstück – lowfat – und reißt auf gebrochen spanisch den Kellner auf. Sie genießt das Dasein. Mexico is just so beautiful. Seit ein paar Monaten ist sie dort, seit sie keine Lust mehr hatte zu Hause, und wer sagt denn, mit den Wechseljahren ende das Leben? Sie hat ihr Haus verkauft und ihre dermatologische Praxis und hat sich ein Haus in Mérida gekauft. Mérida gilt als das Paris Mexikos, sagt sie. Sie will jetzt als nächstes ans Meer, braun werden, denn in zwei Wochen fliegt sie nach Dallas, da hat sie einen boyfriend ... oh, sure I buy your gum. It's great you work. That gives you something to do..., sagt sie einem I-Dotz mit Zahnlücke, der Kaugummis verkaufen muß, statt in die Schule zu gehen. Mexico is just so beautiful.

San Blas, Manuel: Ich komme jedes Wochenende (Typ: Latin Lover mit wallendem Brusthaar). Er kommt auf den Zócalo. Spaziert einmal längs, einmal quer. Schaut sich um. Ist lässig. Setzt sich ein wenig – aber nur kurz, ruhelos. Entzündet einen cigarrillo. Geht rauchend weiter. Freitag, Spätnachmittag... Blinzelt in die Sonne. Schwitzt leider ein bißchen. Na ja. Sieht sich wieder um. Nimmt noch einen Zug ... und sieht SIE. Im Café auf der Südseite des Zócalo, Postkarten schreibend nippt sie an einem Corona. Allein. Eine blonde Frau. Er fackelt nicht lang, kontrolliert seinen Scheitel, geht hin. Hallo, sagt er, ich bin Manuel aus Guadalajara. Darf ich mich zu dir setzen? Später lädt er sie ins beste Fischlokal am Platz ein und zu vielen Pina Coladas und Margaritas in verlassene Bars. Sie nimmt lächelnd an. Treibt fröhlich Konversation. Dann läßt sie sich nach Hause fahren. Nein, sie habe kein Doppelzimmer. Nein, sie wolle auch sein Stammhotel mit Tropenflair nicht sehen. Sie verabreden sich zum Frühstück am nächsten Morgen. Sie langweilt sich ein paar gemeinsame Stunden. Abends sieht sie ihn wieder, von weitem. Er hat wieder Gesellschaft. Sie ist blond.

Oaxaca, Gabriel und Fred (Typ: kamerabehängte Kurzzeiturlauber in amerikanischen Unterhosen). Gabriel und Fred, Elektrotechnikstudenten aus Kaiserslautern, sitzen im Wartesaal eines privaten Busunternehmens, das Halbtagstouren zu den nahe gelegenen Maya-Ruinen Monte Alban und Mitla anbietet. Gabriel liest in seinem Reiseführer, Fred schraubt an seinen Objektiven. Eine abgefetzte Travellerin kommt rein und studiert die Tafel mit den Abfahrtszeiten. Wenn sie den nächsten Bus nach Monte Alban nimmt, hat sie eine Stunde in der Ruinenstadt bis zur Rückfahrt. Ob das reicht? überlegt sie. Ob das wohl reicht? fragt sie die wartenden Jungs. Ein bißchen knapp ist es, antwortet Gabriel. Fred ergänzt: Aber für die wichtigsten Fotos langt's schon.

Zipolite, Ronan:I feel dready already (Typ: AkademikerInnenkind mit Stipendium auf'm Kiffertrip). Jeff, kurzhaarig und adrett, ist Ire und studiert Kulturwissenschaften in Austin, Texas. Derzeit befaßt er sich mit Reggae als Nachrichtenmedium der Rastafaribewegung. Tags liest er, abends kifft er. Beim Kiffen redet er dann auch. Was'n geiler spliff, Mann, bestes Dope, echt trippy, ich war lang nicht mehr so gut breit, I feel iry, man, ich hab' schon lang nicht mehr geraucht, doch, eigentlich hab' ich gestern geraucht, aber der spliff gestern war nicht so trippy wie dieser, I feel dready already, was'n geiler spliff, Mann, bestes Dope, echt trippy, ich war schon lang nicht mehr so gut breit, I feel iry, man, ich hab' schon lang nicht mehr geraucht, doch, eigentlich hab' ich gestern geraucht, aber der spliff gestern war nicht so trippy...

Flüchtlingslager Huehuetenango, Manfred: Wie? Du hast die Zeitung nicht gelesen? (Typ: solibewegter Hüter der politischen Korrektheit). In der bundesdeutschen Zentralamerika-Solibewegung ist er schon lange engagiert, schon sehr lange sogar, und da weiß er natürlich, wo's langgeht in der Soli-Arbeit. Natürlich ist er deshalb als internationaler Begleiter dabei, wenn Flüchtlinge ziehen, zumal die Flüchtlingsproblematik ohnehin Thema ist in der Linken. Er hat seinen Jahresurlaub genommen und sein Sparbuch aufgelöst, damit er sich ein Flugticket kaufen konnte. Da zeigt sich wahrer Soli- Geist. Und er ist wichtig für den Flüchtlingsrückzug, sehr wichtig. Ganze Tage lang diskutiert er deshalb im Plenum der anderen 117 internationalen FlüchtlingsbegleiterInnen.

Quetzaltenango, Cathy: Er hat mich so enttäuscht (Typ: engagierte Frau, bloß die Verhältnisse...). Cathy ist Britin, Tochter aus gutem Hause, klassenbewußt und schreibt daheim für eine Obdachlosenzeitung. Voluntary work. Das letze Dreivierteljahr hat sie in Mérida studiert, jetzt reist sie. Eigentlich muß sie für ihre Diplomarbeit zu Haus sieben Essays über lateinamerikanische Romane schreiben und liest deshalb jetzt „Eva Luna“. Da trifft sie Luis, der einen Kopf kleiner ist als sie und ihr erzählt, es sei, als würden sie sich schon ewig kennen. Cathy schmeißt ihre Reisepläne über den Haufen und sucht sich ein Zimmer. („Wo lernt man fremde Kulturen am besten kennen? Im Bett...“) Sie beginnt mit ihrer Hausarbeit über „Eva Luna“. Da entpuppt sich Luis als unreifer, bindungsängstlicher Jüngling. Cathy packt und fährt an den karibischen Ozean.

Livingston, Gibo:good day, mate (Typ: gemeiner Langzeit- Traveller). Gibo stammt aus Neuseeland und reist seit zweieinhalb Jahren. Die letzen vier Monate war er mit dem Australier Chewy, der Südafrikanerin Jenn und seiner Schwester unterwegs. Die hat zur Zeit viel Geld, weil sie in Montana ein Bungee-Jumping-Business hatte. Jetzt ist sie unterwegs zu einer hohen Brücke in Costa Rica und spendiert den anderen Biere. Spanisch sprechen die vier alle nicht, aber warum auch. In Livingston ist der Strand ein bißchen wie in Thailand, überhaupt Asien ... ja, da sollte man mal wieder hin. Vietnam ist ja jetzt in... Aber eigentlich ist es ja eh egal, ob Zentralamerika, Südostasien oder Nordindien. Hauptsache, billig. Und Hauptsache, die ganze Welt!