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Die jüngste Posaune von Jericho

Wird die seit Juli sendende „Stimme Palästinas“ zu Arafats Staatssender?  ■ Von Thomas Hartmann

Manche Träume werden erst mit Verspätung wahr. Anfang dieses Jahres sollte der erste palästinensische Rundfunk- und Fernsehsender auf palästinensischem Boden starten. Hatte doch die EU kurz nach Abschluß des Osloer Friedensabkommens versprochen, Studio und Sendeeinrichtungen zu stiften. Doch dann mahlten die Mühlen der Geberländer doch erheblich langsamer: Jetzt sollen die Anlagen der EU im Januar 1995 verschifft werden.

Daß wenigstens die Rundfunk- „Stimme Palästinas“ schon zu hören ist, grenzt daher an ein kleines Wunder. Gesendet wird seit Arafats Ankunft in den Autonomiegebieten aus einem kleinen Ausbildungsstudio in Jericho. Die israelische Telefongesellschaft überträgt das Programm per Kabel nach Ramallah. Dort, von den Höhen der Westbank aus, wird er auf Mittelwelle ausgestrahlt. Zu hören ist er nicht nur zwischen Jordan und Gaza-Streifen, sondern auch in grenznahen Gebieten der Nachbarländer – wenn er nicht gerade von dem Sender der palästinensischen Splittergruppe „PFLP-Generalkommando“ überlagert wird, die ihre Kritik an Arafats Politik von Damaskus aus auf derselben Frequenz und unter demselben Namen ausstrahlt. Die Palästinenser hätten natürlich lieber mehrere Frequenzen bekommen. Aber wie auch sonst beim Aufbau der Selbstverwaltung bestimmen die Israelis die Bedingungen.

Mit Koran und Nationalhymne

Doch trotz aller Schwierigkeiten strahlt die Palestine Broadcasting Corporation (PBC) ihr Programm seit knapp fünf Monaten aus, mittlerweile täglich neuneinhalb Stunden. Um 6.30 Uhr geht's los mit dem Koran und der Nationalhymne; es folgen Musik, Nachrichten, Presseschauen und Magazine – von Gesundheit über Landwirtschaft bis zum Sport, meist mit Telefoninterviews, manchmal auch mit Studiogästen. Für ausführliche Vorort-Recherchen dagegen fehlt das Geld.

Zum Glück haben die Palästinenser Erfahrung in der Kunst der Improvisation. Radwan Abu Ayyash, der jahrelang Vorsitzender des Palästinensischen Journalisten-Verbandes in der Westbank war und von Arafat als Leiter der PBC eingesetzt wurde, bemüht sich seit Monaten, parallel zur EU weitere Geldgeber zu gewinnen. Sein jüngster Erfolg: Der Süddeutsche Rundfunk, innerhalb der ARD für die Westbank-Berichterstattung zuständig, hat sich bereiterklärt, den (in Deutschland höchst umstrittenen) „Nahostexperten“ Gerhard Konzelmann als Berater zu schicken.

Daß die „Stimme Palästinas“ bereits senden kann, ist eigentlich einem Zufall zu verdanken: Bereits vor dem Oslo-Abkommen bildete die den deutschen Grünen nahestehende Stiftung „Buntstift“ TV-Journalisten, Kameraleute und TV-Techniker aus. Seit April 1994 wurde das Projekt mit finanzieller Unterstützung des „Med-Media“-Programms der EU auf Rundfunkjournalisten und Tontechniker ausgeweitet. Das zum Projekt gehörige Ausbildungsstudio kam gerade rechtzeitig nach Jericho, um auch der „Stimme Palästinas“ den Start zu ermöglichen.

Inzwischen sind auch andere deutsche Träger bereit, sich zu beteiligen: Die Deutsche Welle bildet gerade in einem Crashkurs Mitarbeiter für das Management aus, und die Friedrich-Ebert-Stiftung hat den früheren WDR-Chefredakteur Rudolf Rohlinger für Zweiwochenkurse über TV-Nachrichten-Journalismus entsandt. Der Fernsehsender soll dann im kommenden Frühjahr starten.

Von Konzelmann erhofft sich die PBC vor allem, daß er im Auftrag des SDR eine Fernseh-Berichterstattung bei den anstehenden ersten Wahlen arrangiert, insbesondere indem Übertragungswagen zur Verfügung gestellt werden. Diese Hilfe des SDR geschieht sicherlich auch im Interesse der eigenen Berichterstattung, doch für die PBC bedeutet sie eine Absicherung: Denn keiner weiß, ob die Sendeanlagen der EU zum Zeitpunkt der Wahlen bereits in Betrieb sind.

Die Schießerei in Gaza bleibt tabu

Neben all den Aufbauproblemen dürfte die heftige Auseinandersetzung zwischen Arafat und seinen Kritikern das Radio vor seine erste große Probe stellen. Ärger gab es bereits, als die „Stimme Palästinas“ nach dem Bus-Attentat von Tel-Aviv Mitte Oktober aus dem Bekennerbrief des Islamischen Dschihad zitiert hatte. Kurz darauf beschwerte sich Arafats Behörde darüber, daß solch hochsensible Informationen ohne Absprache gesendet wurden.

In dieser Woche gab es bereits ein Un-Thema: über die Schießerei in Gaza, bei der Arafats Polizisten vierzehn Demonstranten töteten, diskutierte in den Autonomiegebieten jeder – nur nicht die „Stimme Palästinas“.

Anfang dieser Woche – zeitgleich mit der ersten großen Pro- Arafat-Demonstration in Gaza – wurde sogar tagelang das gewohnte Programm über den Haufen geworfen. Statt der Magazine gab es stundenlang nur Musik mit Aufmunterungsparolen zur Unterstützung des Vaterlandes und Nachrichten, in denen Arafats Positionen breiten Raum erhielten. Verantwortlich dafür ist Yussef Qazaz, seit August Chefredakteur für Nachrichten, der früher in PLO-Propagandasendern in der arabischen Welt tätig war.

Allerdings gehört der rechtliche Status des Senders zu den vielen Unklarheiten im Autonomiegebiet. Der Rechtsanwalt der PBC ist gerade erst dabei, ein Mediengesetz zu entwerfen. Auch einen Aufsichts- oder Rundfunkrat hat die PBC noch nicht. Abu Ayyash wurde zwar von Arafat eingesetzt, aber könnte er auch von ihm abgesetzt werden? Erst mit der Zeit wird sich entscheiden, ob die „Stimme Palästinas“ ein Staatsrundfunk von Arafats Gnaden oder eine Art öffentlich-rechtliche Anstalt unter Mitwirkung verschiedener gesellschaftlicher Kräfte wird.

Übrigens: eine Finanzierung der laufenden Kosten von Rundfunk und Fernsehen durch ausländische Geldgeber – wie dies früher in vielen Ländern Afrikas von deutschen Stiftungen praktiziert wurde – könnte die Abhängigkeit der „Stimme Palästinas“ von der Selbstverwaltungsbehörde enorm verringern.

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