Chronik der Betriebsamkeit

Vom Dokument zum Kommentar: Manfred Miersch beschreibt mit „Art Cologne 94“ Kunst als System  ■ Von Harald Fricke

Ein wenig gedankenverloren lächeln zwei Herren mit Schnurrbart in der weißen Messekoje der Berliner Galerie Zwinger. Sie warten inmitten von Kunst auf Käufer. Am Stand der ID-Galerie aus Düsseldorf kämpft die Galeristin beim Reden mit einem Schnittchen. Dagegen umklammert die Hand des ordentlich gekleideten Mannes mittleren Alters in der aufgeräumten Galerie Zur Stockeregg, Zürich, den Telefonhörer. Sie wird sich nach dem Gespräch schweißnaß angefühlt haben, möglicherweise bei der Begrüßung des einzigen potentiellen Kunden an diesem Tag.

Im Hintergrund von alledem unberührt: die Werke. Pünktchenbilder von Damien Hirst, Schriftstücke unbekannter Konzeptualisten, korngelbe Tücher, Kitsch. In Serie wirken die Fotografien von Manfred Miersch auf dieser Zeitungsseite eher beiläufig und banal. Mit monotoner Regelmäßigkeit wiederholen sich die Situationen; von der Aufgeregtheit, die bei einem solchen Ereignis herrscht (immerhin ist die „Art Cologne“ Deutschlands größte Kunstmesse), spürt man hier absolut nichts. Der Kunstmarkt steht still, doch gleichzeitig scheinen seine Figuren von der Aufsicht bis zum fein herausgeputzten Künstler- Dandy Martin von Ostrowski auf einer imaginären Bühne zu agieren. Jeder will etwas zum unwägbar Besonderen beitragen. Die Aufladung der Messe geschieht nicht im Umgang mit den Kunstwerken, sondern entsteht durch die je individuelle Repräsentation, die sich am Ende zu Betriebsamkeit addiert.

Die Stärke der Arbeit des 33jährigen Berliner Konzeptkünstlers liegt in der Art, wie er dieses Geflecht aus Interna und Strukturen anhand von Nebensächlichkeiten beschreibt. Ausgehend von Marcel Duchamps Frage nach den Bedingungen, unter denen eine Kloschüssel zum Kunstwerk wird, hat die wohl überlegte Provokation automatisch den Produktionsrahmen so erweitert, daß die Frage nach den Bedingungen der Frage selbst schon zur Kunst geworden ist. Niklas Luhmann nennt es den „frame effect“. Manfred Miersch untersucht also ein monströses Meta-Objekt, das Kunst genannt wird: Wie der Ethnologe im Feld zeichnet er Erscheinungsformen auf, kategorisiert sie pedantisch, ordnet, und beschriftet. Denn nichts soll dem Zufall überlassen werden – jenem Moment im kreativen Prozeß, das als wesentlicher Bestandteil moderner Kunst gewertet wird.

Dabei findet eine perverse Verschiebung statt: Im Bild sind es die Galeristen, die an die Stelle der Zeugnisse eben dieser Moderne treten, deren charakteristische Einzigartigkeit zugleich mit der Aufnahme systematisch verschwindet. Kunst wird durch den Betrieb ersetzt oder besser noch: verdrängt. Allein die Messe erzeugt nicht nur eine Austauschbarkeit der Produkte, sie ist eben selbst als Spiegelbild ein Produkt aus lauter individuellen Tauschaktionen. Dieser Prozeß ist in den Fotografien festgehalten, als Kommentar im Gewand der Dokumentation.

Natürlich ließe sich das Ganze auch als Abrechnung mit dem Markt verstehen. Kölsch, Kontakte, Kunst: Die 29. Kölner „Art Cologne“ hat, wie es in solchen Fällen heißt, sämtliche Erwartungen erfüllt. Großer Wunschkapitalismus. Auch das sieht man, aber das wissen ja längst alle.

Andererseits versteht sich die meiste Kunst heute als Reaktion auf Orte, Zeiten, Lebenszusammenhänge – oder auf die Kunst von anderen Künstlern. Schlimmstenfalls bilden sich diese ganzen Mühen am Ende auf sich selbst ab: Dann bleibt die Wand weiß, der Künstler hochsensibel und die Galerie leer. Anhaltspunkte in diesem Verweissystem geben eher Computernetze oder philosophische Fachliteratur als Hammer und Pinsel. Das ist nicht immer schön, manchmal allerdings witzig.