piwik no script img

■ Drei als Juristen verkleidete Antisemiten wirken weiterAls wäre nichts passiert

Was war das für ein schöner Sturm im Wasserglas! Die Medien waren empört, das Ausland regte sich auf, Kanzler Kohl schämte sich, und sogar der Deutsche Richterbund gab eine distanzierende Erklärung ab. Und nun sind die Richter Müller und Orlet nach einer vorübergehend dauerhaften Erkrankung – wieso bleibt eigentlich der dritte Richter immer unerwähnt? – an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt. Als wäre nichts passiert. Und wirklich: es ist nichts Besonderes passiert. Drei als Juristen verkleidete Antisemiten haben einen Neonazi zu einer symbolischen Strafe verurteilt und ihm zugleich ein Leumundszeugnis ausgestellt, auf das sogar Albert Schweitzer und Mutter Teresa stolz gewesen wären. Anschließend haben sie ihr Urteil verteidigt, Richter Orlet hat sogar erklärt, er würde jeden Satz noch einmal genauso schreiben. In jedem zivilisierten Land wäre dieser Mann, wenn schon nicht nach dem Urteil, so spätestens nach dem Gespräch, das er bald darauf der SZ gegeben hat, in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden, die auf schwere bis unheilbare Fälle spezialisiert ist. Nur in Deutschland dürfen Wahnsinnige, die eine Richterrobe tragen, bis ans Ende ihrer Tage Recht sprechen, wenn sie nicht vorzeitig von einem herabfallenden Balken erschlagen werden, was im Falle von Roland Freisler wenigstens dazu geführt hat, daß er seine Karriere weder in Mannheim noch an einem anderen deutschen Gericht fortsetzen konnte. Doch ohne die Gnade einer höheren Gewalt bleibt ein furchtbarer Jurist auch dann im Amt, wenn er sich selbst politisch und moralisch entleibt hat. – Der Fall ist kein Einzelfall. Er hat nur deswegen ein so großes Aufsehen verursacht, weil es um Juden und Antisemitismus geht. Als das Landgericht Paderborn vor ein paar Monaten entschied, die Parole „Ausländer raus!“ wäre nicht Volksverhetzung, sondern eine erlaubte Meinungsäußerung, war die öffentliche Empörung minimal. Wer da noch immer „Wehret den Anfängen!“ ruft und sich über die Skins und Neonazis aufregt, der übersieht, daß die rechten Knalltüten geradezu liebenswerte Gestalten sind – gemessen an den Robenträgern, die mit den Pogromen, die sie mit ihren Urteilen initiieren, nichts zu tun haben wollen. Henryk M. Broder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen