Bedrohlich lauert der gemeinsame Markt

■ Bei den Präsidentschaftswahlen in Uruguay könnte ein Sozialist das traditionelle Zweiparteiensystem durcheinanderwirbeln / Unsichere Zukunft im „Mercosul“

Rio de Janeiro (taz) – Der Wolf lauert vor der Tür. So beschreibt Uruguays Präsident Luis Alberto Lacalle das Zittern und Schaudern der 3,2 Millionen Einwohner des kleinen südamerikanischen Landes angesichts der bevorstehenden Vereinigung von Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum, genannt „Mercosul“, im nächsten Jahr. Welche Position sich Uruguay dabei erkämpft, hängt von Lacalles Nachfolger ab, der morgen gewählt wird.

Der Wahlmarathon an diesem Wochenende wird aller Voraussicht nach ein spannendes Kopf- an-Kopf-Rennen. Uruguays 2,3 Millionen Wahlberechtigte stimmen gleichzeitig für ein neues Staatsoberhaupt, 30 Senatoren, 99 Parlamentarier sowie 19 Bürgermeister. Außerdem müssen die Bürger in einer Volksabstimmung über die Erhöhung des Bildungsetats und eine Reform der staatlichen Renten- und Krankenversicherung entscheiden.

Erstmals hat ein breites Linksbündnis („Encuentro Progesista“, EP) die Chance, die Vorherrschaft der beiden traditionellen Parteien, „Partido Blanco“ und „Partido Colorado“, landesweit zu brechen: Der Kandidat der Linksfront, Tabaré Vázquez, liegt in der Hauptstadt Montevideo mit 40 Prozent in Führung. Landesweit vereinigt die EP, an der sich nach langen Debatten auch die ehemaligen Tupamaro-Guerilleros beteiligten, ein Viertel der Stimmen auf sich. Der sozialistische Arzt Vázquez hatte 1989 überraschend die Stadtverwaltung von Montevideo erobert. Die Wahl des von ihm gewünschten Nachfolgers Mariano Arana gilt als sicher.

Bevölkerung lehnte Privatisierungen ab

Im Landesinnern hingegen führen die Kandidaten der beiden Parteien „Partido Colorado“ und „Partido Blanco“, die sich bisher beim Regieren am Rio de la Plata abwechselten, die Meinungsumfragen an. Die beiden „Blanco“- Kandidaten Alberto Volonté und Andres Ramirez – in Uruguay kann eine Partei mehrere Kandidaten aufstellen – versprachen ihren potentiellen Wählern, die Politik des Parteikollegen und Präsidenten Lacalle fortzusetzen, nur mit mehr Erfolg, denn „die entscheidenden Probleme blieben bisher unangetastet“. Was damit gemeint ist, ist klar: Hartnäckig hat sich die Mehrheit der Bevölkerung in den vergangenen Jahren gegen die neoliberalen Reformpläne Lacalles gewehrt. In einer Volksabstimmung im Dezember 1992 stimmten 72 Prozent der Uruguayer gegen die Privatisierungsprogramme der Regierung.

„Colorado“-Konkurrent Julio Mario Sanguinetti bohrt mit Wonne in den Wunden der neoliberalen Reform herum. Was nütze es der Bevölkerung, wenn sie in den Einkaufszentren billige Importprodukte kaufen könne, dafür aber jede Woche eine Fabrik stillgelegt werde? Der 58jährige Ex- Präsident, der laut Umfragen 27 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt, sieht in der negativen Handelsbilanz sowie in der Überbewertung der Landeswährung eine latente Gefahr. Statt Importen müsse die nationale Produktion gefördert werden.

Wer auch immer am Sonntag gewinnt, einig sind sich alle Kandidaten darüber, daß vor Uruguays Türen der Wolf lauert. „Mit Beginn des ,Mercosul‘ am 1. Januar 1995 muß Uruguay sich gegenüber den 200 Millionen Einwohnern des gemeinsamen Marktes als Exporteur von Qualitätsprodukten behaupten“, lautet die Strategie des 55jährigen Kandidaten Volonté, und Präsident Lacalle will Montevideo zum „Brüssel Lateinamerikas“ machen. Große Alternativen bieten sich der nostalgischen Landeshauptstadt allerdings nicht. „Zwar ist das Bildungsniveau im Vergleich zu den anderen ,Mercosul'-Staaten höher“, so ein Wahlbeobachter, „doch auch die Löhne liegen über dem Durchschnitt von Brasilien oder Argentinien.“ Astrid Prange