Einstürzende Einbauten

■ Meldungen über Risse in Siedewasser- Reaktoren jahrelang ignoriert

Berlin (taz) – Vier Jahre lang haben sich die Betreiber des AKW Würgassen auf das Prinzip Hoffnung verlassen. Nun konstatieren sie den allmählichen Zerfall zentraler Einbauten des Reaktorkerns. Betroffen sind vor allem der „Kernmantel“ und mit ihm verschweißte Auflagen. Das Bauteil umschließt die Brennelemente und führt das kühlende Dampf- Wasser-Gemisch durch den Kern.

Die im September entdeckten Risse in sogenannten austenitischen Stählen haben „bislang eine Gesamtlänge von mindestens zwei Dritteln des Gesamtumfangs“, heißt es in einem internen Papier der Reaktorsicherheitskommission (RSK), dem streng AKW- gläubigen Beratergremium des Bundesumweltministeriums, über das gestern die Düsseldorfer Landtagsabgeordneten Katrin Grüber und Michael Vesper (Bündnis 90/ Grüne) berichteten.

Das bisher verheimlichte Ausmaß der Schäden – die addierte Rißlänge beträgt rund acht Meter – erklärt die Radikalkur, mit der die Betreibergesellschaft PreussenElektra ihren Altmeiler vor dem endgültigen Exitus bewahren will. Vergangene Woche kündigte das Unternehmen den vollständigen Austausch des Kernmantels an, ein bisher beispielloses Vorhaben, für das PreussenElektra eine Stillstandszeit von eineinhalb Jahren veranschlagt. „Nur ein Traum der Betreiber“, nennen das die Grünen, die für den Fall der Realisierung ein neues „öffentliches Genehmigungsverfahren nach dem Atomgesetz“ verlangten.

Die sogenannte Weiterleitungsnachricht der RSK vom 27. September, die der taz vorliegt, liest sich wie eine Chronik nuklearer Unbekümmertheit. Denn „erstmalig 1990“ wurden danach im schweizerischen Atomkraftwerk Mühleberg Risse im Kernmantel entdeckt, später dann in „mehr als zehn Siedewasserreaktoren der Firma General Electric“. Die Anlagen seien vergleichbar „mit denen der Siedewasserreaktoren aller AEG/Siemens/KWU-Baulinien“, schreiben die RSK-Experten. General Electric empfahl nach den Rißmeldungen aus der Schweiz Betreibern vergleichbarer Anlagen, „die Kernmäntel zu überprüfen“. Das geschah auch: in den USA. Hierzulande bequemte sich etwa die PreussenElektra erst im Verlauf der turnusmäßigen 1994er Revision zu einem genaueren Blick. Auch die Atomaufsichtsbehörden rührten keinen Finger. Gerd Rosenkranz