■ Ökolumne
: Wurmfortsatz Von Gerd Rosenkranz

Vorverurteilungen liegen uns fern. Es gibt Juristen, die weltweit agierende High-Tech-Konzerne passabel präsidieren. Und der Volksschullehrer Möllemann hat als Wirtschaftsminister keine schlechtere Figur gemacht als der Diplom-Kaufmann Rexrodt. Nun also Angela Merkel statt Klaus Töpfer. Unsere oberste Umweltschützerin. Gezaudert wird nicht, sie traut sich den Job zu und verkündet Stunden nach ihrer Amtseinführung mit Grabesstimme, der „Castor“ sei sicher. Woher weiß sie, worüber sie spricht?

Es gibt in der Bundesrepublik (alt) seit zwanzig Jahren eine intensive Umweltdebatte. Es gibt starke Umweltverbände, Umweltabteilungen in jeder Gemeinde, in den Kirchen, den Gewerkschaften und jedem größeren Unternehmen, mittlerweile sogar grüngestrickte Unternehmerverbände. Kurz, dieses Land verfügt über eine ökologische Basiskompetenz, die die peinliche Inszenierung als Affront empfinden muß, die nun zur Aufführung kommt: Die Bundesumweltministerin als Auszubildende in Sachen Umwelt.

Natürlich war ihm (dem Kanzler) dieses Fiasko gewärtig, als er das Umweltressort um des Ost-West-Proporzes willen zum Personal-Verschiebebahnhof degradierte. Warum Skrupel nicht aufkamen, erschließt sich zwanglos nach Lektüre der dürren Öko-Leitlinien im Koalitionsfahrplan. Umweltexperten gelten die drei Seiten „als Witz“. Leider sind sie keiner. Das schmale Kapitel liest sich wie ein Abwicklungsprogramm für das Umweltressort. Ziel dieser Regierung ist nicht der Schutz der Bürger vor Gift und GAU, sondern der von Bleifußfetischisten und Industrie vor den Folgekosten ihrer Gedankenlosigkeit. Gefragt ist billige Umweltpolitik, im doppelten Wortsinn.

Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Im Bonner Machtgefüge war auch Klaus Töpfer ein Leichtgewicht. Sein End-of-the-pipe-Ministerium mühte sich als Reparaturbetrieb, am Ende bis zur völligen Unkenntlichkeit kleingerieben zwischen den Betonköpfen der Waigels und Rexrodts. Jetzt wird das Umweltressort zum Wurmfortsatz der Regierung. Seine nackte Fortexistenz verdankt es fortan allein populistischen Motiven; wie einst im Mai seine Geburt, als die Strahlenwolke aus Tschernobyl über deutschen Landen abregnete. Und das alles nach einer jahrezehntelangen Debatte über den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft. Konsequent wäre gewesen, wenn Kohl, nach Auflösung des Hauses Töpfer, Merkel zur Abteilungsleiterin Umwelt im Innenministerium berufen hätte. So wie es bis 1986 war.

Und wie mag das Ausland reagieren auf das jähe Ende der „Ära Töpfer“? Der Bundeskanzler verzichtet auf die Dienste des jenseits der Grenzen hochgeachteten Umweltfachmanns – und das wenige Monate vor der Rio-Nachfolgekonferenz in Berlin. Es bedarf keiner prophetischen Gaben: Das Signal wird in der Welt richtig verstanden werden. Der Kanzler weiß das. Der Ruf Deutschlands als Öko-Vorreiter war längst lästig geworden, weil die Bonner Regierung in ihrem Handeln daran gemessen wurde. Nun ist er weg.

Angela Merkel und ein Umweltressort ohne Macht: Das ist, zumal in diesen Zeiten, eine Richtungsentscheidung. Richtung Vergangenheit. Wirklich ernst genommen, hieße jetzt das Umweltministerium „Zukunftsministerium“, wäre ausgestattet mit Kompetenzen aus dem Hause Rexrodt, vor allem der Energiepolitik. Matthias Wissmann wäre in diesem Hause Staatssekretär für Verkehrspolitik. Und Klaus Töpfer hätte nicht fluchtartig das Weite gesucht. Oder – die kleine Lösung – der Kanzler hätte Töpfer zum Finanz- oder Wirtschaftschef seines Kabinetts befördert, damit der endlich seinen Ruf als Ankündigungsminister mit praktizierter Realpolitik, etwa dem ökologischen Umbau des Steuersystems, hätte abschütteln können. Hätte, wäre, hätte, wäre. Statt dessen nun die Merkel- Lösung, eine Provokation, die in diesem gut erzogenen Land nur deshalb keinen Aufschrei auslöst, weil die blasse Frau als Objekt der Empörung nicht taugt.

Auf den Umweltpolitiker Klaus Töpfer paßte lange schon der klassische Spruch: „als Tiger abgesprungen, als Bettvorleger gelandet“. Unter Umweltfachleuten des Bundes wird derzeit eine sarkastische Variante kolportiert: „Gibt es Tiger, die als Bettvorleger losspringen?“ Sicher ist, in der Regierung Kohl hat Angela Merkel keine Chance, diese seltene Mutation zu durchlaufen. Selbst wenn sie wollte.