: „Wasser auf die Mühlen der Skinheads“
An der Aussage des 25jährigen Ghanaers, der behauptet hatte, von Skinheads aus einer Berliner S-Bahn geworfen worden zu sein, tauchen immer stärkere Zweifel auf ■ Aus Berlin Jeannette Goddar
Seit vorgestern schweigt der 25jährige Martin A. aus Ghana, der seit Ende September behauptet hatte, von Skinheads aus einer fahrenden S-Bahn zwischen Berlin und Oranienburg geworfen worden zu sein. Der Staatsanwaltschaft erklärte er am Donnerstag, von seinem Recht der Aussageverweigerung Gebrauch zu machen, wonach ein Zeuge nicht antworten muß, wenn er sich in Gefahr brächte, strafrechtlich verfolgt zu werden. Sowohl die Staatsanwaltschaft Neuruppin als auch sein ehemaliger Verteidiger, der außerdem ein Spendenkonto mit über 50.000 Mark für A. verwaltet, zweifeln daran, daß A. tatsächlich einem rassistischen Verbrechen zum Opfer fiel.
Die Aussage A.s sei „in weiten Teilen widerlegt“, erklärte Verteidiger Ulrich Korsukewitz, von dem sich A. am Donnerstag trennte, gegenüber der taz. Zur Aufgabe der Vertretung habe ein „Dissens“ mit seinem Mandanten geführt: „Meiner Ansicht nach hat ein Geschädigter die Pflicht mitzuwirken, daß die Täter gefunden werden.“ Statt dessen seien A.s Aussagen immer widersprüchlicher geworden. Weder habe es die Frau gegeben, von der A. behauptet hatte, daß sie ihn auf dem S-Bahnhof abholen wollte, noch die 15 Zeugen, von denen A. gesprochen hatte. Über 60 Punkte seiner Aussage seien weiterhin aufklärungsbedürftig.
Die Ermittlungen hätten aber auch ergeben, daß A. nicht, wie kurz nach der Tat von der Lokalpresse gemutmaßt wurde, im Zusammenhang mit der „Drogenmafia“ oder „innerghanaischen Auseinandersetzungen“ überfallen worden sei. Auch Erardo Rautenberg, ermittelnder Staatsanwalt, ist angesichts der Aussageverweigerung ratlos. „Wir wissen nicht mehr, wohin wir ermitteln sollen.“ Er hoffe immer noch, daß Martin A. schildern würde, wie es zu der Tat, bei der er einen Unterschenkel verloren und einen Schädelbasisbruch erlitten hatte, gekommen sei.
Wenn sich herausstellen sollte, daß die Geschichte von dem Überfall der Skinheads frei erfunden sei, sieht er allerdings auch „Wasser auf die Mühlen der Skinheads“ fließen. Abgesehen von der fatalen Signalwirkung, die von dem Fall ausging, würden sich jetzt immer wieder Skinheads herausreden, ihnen werde etwas in die Schuhe geschoben. Allerdings gesteht Rautenberg ein, durch den Fall einen viel besseren Einblick in die rechtsradikale Szene Oranienburgs bekommen zu haben. „Wir haben diverse Taten aufgeklärt, auf die wir sonst nie gestoßen wären.“
Der Fall Martin A. schien bereits im Oktober geklärt: Ein 18jähriger gestand, aus „ausländerfeindlichen Motiven“ mit drei Freunden den brutalen Überfall verübt zu haben. Das Geständnis erwies sich nach der Vorlage eines psychiatrischen Gutachtens als falsch. Tatsächlich haben die vier allerdings in der fraglichen Nacht einen Vietnamesen ausgeraubt.
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