Welch unheimlicher Ort: Västerbotten

■ Per Olov Enquist las und inszenierte sich zum Abschluß der Nordischen Literaturtage

Nein, sagte der Schriftsteller, da müßten ihn einige ganz falsch verstanden haben. Das sei doch kein düsterer Roman, sondern eine humorvolle und sehr einfache Geschichte. Der Übersetzer Wolfgang Butt schaute verdutzt auf: „Unkompliziert ist das Buch nun wirklich nicht. Selbst ich habe immer noch einige Fragen.“ Der Schriftsteller lächelte. „Okay, ihr habt recht. Das Buch ist nicht sehr einfach“. Mit dem Schweden Per Olov Enquist las zum Abschluß der Nordischen Literaturtage ein Schriftsteller, der seinen Job versteht. Nicht nur das Schreiben, sondern auch die Selbstinszenierung. In seiner Heimat ist er ein Star, bekannt auch durch Theaterstücke und als politischer Kommentator. Am Freitagabend stellte er im Literaturhaus seinen neuesten Roman Kapitän Nemos Bibliothek vor.

Lesungen haben ähnlich wie Pokalspiele ihre eigenen Gesetze. Denn für Intimität und Spannung muß der Autor aus dem Schatten des Werkes hervortreten. Wer sich nur an die Buchstaben klammert, der scheitert. Anders der Schwede, der lustvoll für Verwirrung sorgte und Nachfragen beschied: „Dies ist ein Roman und Autoren dürfen lügen.“ Wieder so ein Moment der Verunsicherung. Denn richtig gelogen hat Per Olov Enquist in seiner Erzählung nicht. Der Vorfall, der 1946 Schweden erschütterte, hatte sich sogar in der eigenen Verwandschaft zugetragen.

Zwei Kinder werden am selben Tag geboren, wachsen gemeinsam auf, bis für alle Welt deutlich wird: Die beiden sind der jeweils anderen Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Und tatsächlich, die Kinder wurden nach der Geburt vertauscht. Ein Gericht ordnete an, die Verwechslung rückgängig zu machen – mit fatalen Auswirkungen. Es muß ein merkwürdig entrücktes Fleckchen Erde sein, fast unheimlich, dieser nordschwedische Landstrich Västerbotten, Geburtsort des Autors und Ort der Handlung.

An den Stoff wagte sich Enquist erst zu Beginn der 90er Jahre und schrieb sich die bedrückenden Ereignisse in nur sechs Monaten von der Seele. Aus Rücksicht gegenüber den Betroffenen sei ein früherer Zeitpunkt nicht möglich gewesen. Ein humorvolles Buch? „Nein“, sagte Enquist nun, „es ist ein Nachtbuch“.

Mit dem letzten Satz des Epilogs aus „Kapitän Nemos Bibliothek“ beendete Per Olov Enquist auch die Lesung: „So war es, so ging es zu, dies ist die ganze Geschichte.“ Beim Verlassen des Literaturhauses fragte man sich unwillkürlich: „Wirklich?“ Karsten Neumann