Von wegen Makramee

■ Von „Rassenlehre“ ('33) bis „Mann, mach mal Pause“ ('94) / VHS wird 75 Jahre alt

Ikebana, die Kunst des Blumensteckens, und Makramee, das Knüpfen mit Fransen – das fällt vielen Leuten spontan zum Thema Volkshochschule ein. „Dabei haben wir sowas gar nicht im Angebot“, sagt Horst Rippien, stellvertretender Leiter der Bremer Volkshochschule. Heutige Kurse heißen „Männer brauchen Freunde, packen wir's an“ oder „Das Öko-Audit-System“ oder „Schutzgasschweißen – wie geht das?“. Die Bremer Volkshochschule macht mehr als andere deutsche Volkshochschulen Angebote zur beruflichen und politischen Bildung, und sie hat auch andere Schwerpunkte: Für Frauen, Ältere und das Thema Ökologie wurden eigene Fachbereiche geschaffen. Dennoch, das Biedermann-Image hält sich. Wahrscheinlich stammt es aus den satter werdenden 60ern, als kulturelle Angebote stark gefragt waren. Zumal auf dem Land hatte die VHS immer die Funktion eines Kulturzentrums, dort lernte man besonders gern Aquarellieren oder Puppenbau. Die Geschichte der Volkshochschule, das zeigt schon dieses überholte Image, steckt voller Brüche.

„Demokratie braucht Bildung!“ – so lautete der Auftrag für die erste Volkshochschule 1919. Doch in der ersten Bremer VHS debattiert man nicht über die neue Verfassung, sondern bildet sich durch Vorträge über den „Altgermanischen Glauben in den Götterliedern der Edda“. Dozent: Oberlehrer Dr. Richard von Hoff, der 1933 nationalsozialistischer Bildungssenator wird. Anders als das Programm der meisten deutschen Volkshochschulen ist das der Bremer traditionell, ja rückwärtsgewandt: Orientierung durch Heimatgeschichtliches und Teilhabe an dem, was man für deutsches Kulturgut hält. Wie kam's? Das ist bis heute nicht geklärt. Ein Grund vielleicht: Die Arbeiterorganisationen in Bremen standen der Gründung der VHS reserviert gegenüber. Sie hatten ihre eigenen Bildungszirkel.

Traditionell, wenn auch nicht nationalistisch sind damals allerdings auch manche Veranstaltungen etwa der marxistischen Arbeiterschule, weiß Rippien;: „Die hundert wichtigsten Bücher“ – ein Renner, ebenso „Der Aufbau Bach'scher Klavierwerke“. Viele bislang von Bildung Ausgeschlossene wollen Wissen nachholen. So werden auch die VHS-Veranstaltungen von 1921 "Bach und seine Zeit“ oder „Malerei des Mittelalters“ besonders gern von ArbeiterInnen besucht, darunter viele weibliche Hausangestellte. Während 1929 die Weltwirtschaftskrise beginnt und 1931 in Bremen die Nordwolle in die Knie geht, können die BremerInnen in der Volkshochschule was über „Das Heldengedicht Beowulf“ lernen. „Rassenkunde“ kommt 1933 dazu.

Mit diesen Themen will die 1946 neu gegründete VHS nichts mehr zu tun haben. Die DozentInnen sind zum Teil EmigrantInnen, und die Hälfte der KursteilnehmerInnen verlangt nach beruflicher Bildung, weil ihnen der Krieg einen Strich durch den Lebenslauf gemacht hat. Daneben gibt es Veranstaltungen wie „Vom Irrlauf der deutschen Geschichte“ oder die beliebte „Sprechstunde des Senators“. Bald auch so Nützliches wie die „Kleiderumgestaltung“.

Demokratie braucht Bildung, diesen Auftrag nimmt die VHS der Nachkriegszeit sehr ernst. Großen Erfolg haben Veranstaltungen wie „Haben wir eine lebendige Demokratie?“ (1955) oder „Können und wollen wir heute noch frei sein?“ (1955). Im Lauf der 60er dann scheinen die kulturellen Themen und vor allem das Interesse am kreativen Werkeln zuzunehmen, jedenfalls heißt die Kritik von außen „Schluß mit den Erbauungskursen“ (1969).

Herausgerissen aus dieser teilweisen „Erbaulichkeit“ wird die Volkshochschule durch die erste bemannte Raumfahrt der Sowjets und die darauf anhebende Klage über die Bildungskatastrophe im Westen. Die Aufgabe der Volkshochschule, fordert die Politik, sei nicht kulturelle Breitenarbeit, gar Unterhaltung, sondern „organisiertes Lernen“. Der neue Leiter KarlHeinz Schloesser gliedert in den 70ern die VHS nach dem Muster universitärer Fachbereiche, versucht gleichzeitig, endlich die weniger Gebildeten zu erreichen. Eine Vielzahl von Zielgruppenangeboten entsteht: für Frauen, ArbeiterInnen, Arbeitslose, Inhaftierte, Behinderte... Das ist arbeitsintensiv und teurer, weil diese Gruppen nur klein sein können. Ein jahrelanger Streit zwischen Schloesser, Bildungsbehörde und Bürgerschaft entbrennt. Er entzündet jedoch immer wieder an unliebsamen Einzelveranstaltungen wie „Vom Rechtsstaat zum Polizeistaat?“ oder einem Literaturgespräch mit dem verurteilten Polizistenmörder Peter Paul Zahl. Der Bildungssenator greift schließlich sogar in die Programmautonomie der VHS ein. 1983 verläßt Schloesser die VHS.

Die Volkshochschule versucht nun, wieder ein breiteres Publikum zu erreichen und ihre Einnahmen über Kursgebühren zu erhöhen. Auf einen Erfolg der 70er-Jahre-Strategie ist man aber auch heute noch sehr stolz: Mehr als andere Bremer Bildungsträger erreicht die VHS Arbeitslose, Hausfrauen, RentnerInnen. Der Anteil der Frauen ist gar von 25 Prozent nach dem Krieg auf zwei Drittel gestiegen. heute müht man sich nun wieder um mehr Männer. cis