: Ein Visionär am Königshofe
■ „Goya“ im Neuen Museum Weserburg – Wettbewerb der Bremer Kunsthäuser um die Publikumsgunst
Nun hat also auch das Neue Museum Weserburg „seinen“ Toulouse-Lautrec, oder doch etwas vergleichbar Spektakuläres: „Goya“ lockt ab sofort in das etwas andere Bremer Kunstmuseum. Mit diesem Coup überraschte Direktor Thomas Deecke jetzt seine Kollegen von der Kunsthalle – eine freilich ebenso gelungene wie böse Überraschung. Dem Vernehmen nach soll Wulf Herogenrath, neuer „Chef“ der Kunsthalle, nicht eben freundliche Worte für die neuerlich erstarkte Konkurrenz von der anderen Weserseite gefunden haben. Denn Goya gehöre eben nun mal in die Kunsthalle. Und tatsächlich müssen sich die Herren und Damen Direktoren fragen lassen, was denn nun eigentlich „gebacken“ ist in der Museumsszene: Die Weserburg zeigt Hopper-Fotos, das Kunstforum Hopper-Grafiken, die Kunsthalle kündigt derweil Blume-Fotos an, und nun also „Altmeisterliches“ in der auf Modernes verpflichteten Weserburg. Verkehrte Welt!
Dieses Politikum wird sicher sein Nachspiel haben. Gleichviel: Sieht man von den Reibereien unter den Kunstleuten mal ab und blickt auf das, was die Weserburg da zustandegebracht hat, muß man schon den Hut ziehen. Denn diese Prachtausstellung zeigt Goya in ganz neuem Licht. Allein das Zustandekommen der umfänglichen Schau ist schon staunenswürdig: Die pfiffigen „Weserburger“ nahmen ein kurzfristiges Angebot des Münchner Museums für Moderne Kunst (MMM) wahr und machten damit ein wahres „Schnäppchen“, wie sich nun herausstellt.
Denn hier ist es erstmals gelungen, einen Großteil der Aquatinta-Grafiken des spanischen Meisters zu versammeln. Einen kleinen Bestand an hauseigenen Original-Grafiken fand Weserburg-Kustos Peter Friese außerdem noch beim Stöbern in der Sammlung Lafrenz. Den „Vogel“ schoß dann Staatsrat Gerhard Schwandner ab: Er ließ seinen „heißen Draht“ in den Prado spielen und eiste einige der selten im Ausland gezeigten Porträts vom Hofe König Ferdinands VII. bei den Spaniern los. Und das alles „einmal“ ohne Zutun des Wirtschaftssenators, der nun wohl in die „Röhre“ guckt.
So erschließt die Ausstellung nun in einem klug arrangierten Nebeneinander die ganze Welt Goyas. Die vor Farbe glühenden Porträts, die Goya als Hofmaler erstellte, stehen direkt neben den in dämonisches Dunkel getauchten Schwarzweiß-Grafiken. Praktisch „Kopf an Kopf“ präsentieren sich die spanischen Adeligen und die Ungeheuer aus Goyas Phantasmorgien. Und so erhellt das eine das jeweils andere: Der Monarch, vom Meister in seiner ganzen Machtbesessenheit dargestellt, erscheint neben den düsteren Giganten Goyas nochmal so abgrundtief dämonisch.
Und fast nebenbei ergab sich im Laufe der wissenschaftlichen Recherche noch eine kleine Sensation. Denn das jahrzehntelang dem Franzosen Manet, einem Zeitgenossen Goyas, zugeschriebene „Frühstück im Grünen“ ist „zu 80 Prozent“, so die Bremer Forscher, wohl dem weiteren Goya-Umkreis zuzuschreiben. Tatsächlich soll es sich bei dem Bild um die lang verschollene „Beweinung Maximilians“ handeln, die nur in einigen Briefen Goyas an seine Schüler erwähnt ist. Direktor Deecke versichte aber auf der Pressekonferenz, daß sein Haus trotz dieser Wertsteigerung „gut versichert“ sei und nicht nachzahlen müsse.
So sollen die Bremen-Besucher nun in die Weserburg strömen. Und die Touristen müssen sich schon entscheiden, welche Autobahn-Abfahrt sie nehmen: Entlang der A1 stehen neuerdings großformatige Werbetafeln und weisen auf „Toulouse-Lautrec“ und nun auch auf „Goya“ hin. Die Weserburg profitiert dabei übrigens vom Mißgeschick der Münchner Kollegen. Wie MMM-Direktor Porzner am Rande der Pressekonferenz einräumte, muß sein Haus – 1991 erst mit großem Pomp eröffnet – wegen umfangreicher Sanierungsmaßnahmen noch weitere zwölf Monate geschlossen bleiben. Am Bau des internationalen „Star-Architekten“ James Stirling war kurz nach der Eröffnung einer der zwei tonnenschweren, gotisierenden Turmhelme in sich zusammengefallen und in den Hauptausstellungstrakt gerauscht. Nun geht das MMM mit seinen Projekten „auf Reisen“ und beglückt z.B. die Bremer Kunstfreunde. Zirrhus C. Backhaus
„Goya“, bis 29.1., Neues Museum Weserburg; (Teerhof 20); der sehr empfehlenswerte Katalog (mit 312 Farbtafeln, 124 SW-Abb., 2 CD-ROM-Disketten und 1 Multiple von Jeff Koons) kostet DM 128
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