Atomwaffenmacht Schweden?

Potentielle Plutoniumfabrik bei Stockholm trotz Abschaltung vor 20 Jahren in nahezu betriebsbereitem Zustand / Schweden könnte jährlich ein bis zwei Bomben bauen  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Ein groß aufgemachter, vierspaltiger Bericht auf der Titelseite der Washington Post hat Schwedens PolitikerInnen am Wochenende um die erhoffte Adventsruhe gebracht. „Das neutrale Schweden hält sich Atomwaffenoptionen offen“, titelte das Blatt und wußte zu berichten, daß Schweden „innerhalb kurzer Zeit eine Atomwaffe herstellen kann“. Plutonium könne in einem betriebsbereit gehaltenen Reaktor in einer Menge gewonnen werden, die für ein bis zwei Atombomben im Jahr ausreichen würde.

Der unterirdische Reaktor in der Nähe von Stockholm ist seit zwanzig Jahren stillgelegt. Es ist ein Schwer-Wasser-Reaktor, der 1963 in Betrieb genommen worden war und neben der Versorgung eines Vorortes der Hauptstadt mit Fernwärme auch durchaus etwas mit Atombombenplänen zu tun hatte.

Schweden hatte – was weithin unbekannt ist – in den fünfziger und sechziger Jahren konkrete Pläne, eine Atombombe zu bauen. Bis etwa 1966 arbeiteten bis zu 350 TechnikerInnen an dem Geheimprojekt, das offiziell erst mit der Unterschrift unter den Atomwaffensperrvertrag im Jahre 1968 begraben wurde.

Der Reaktor von Agesta wurde 1974 abgeschaltet und eingemottet. Der Vorrat an schwerem Wasser wurde aus dem Reaktor entfernt, der aber ansonsten konserviert wurde und an dem auch gelegentlich Wartungsarbeiten durchgeführt werden.

Außer bei Insidern war die potentielle Plutoniumfarbik nahezu in Vergessenheit geraten. Bis sich in diesem Jahr plötzlich die Internationale Atomenergiebehörde IAEA in Wien – Chef: der schwedische Exaußenminister Ernst Blix – für Agesta interessierte.

IAEA-Sprecher Hans Meyer: „Nach den Erfahrungen mit dem Irak und Nordkorea hat die IAEA ein verschärftes Überwachungsprogramm eingeleitet.“ In diesem Zusammenhang seien Schweden, Japan und einige weitere hochentwickelte westliche Länder „behilflich“ gewesen.

Laut schwedischer Pressemeldungen erhielt die Anlage in Agesta seit Sommer nicht weniger als vier unangemeldete Besuche von IAEA-Kontrolleuren. Den letzten am 24. Oktober. Grund laut Washington Post: Die Anlage könne innerhalb weniger Monate in Betrieb genommen werden. Die Pläne und „einige technische Komponenten“ des Atomwaffenprogramms seien aufbewahrt worden.

Daß Agesta zur Herstellung von Plutonium 239 konstruiert ist, wird von Schwedens Regierung nicht bestritten. Auch nicht die von Washington Post genannte Menge: ausreichend für jährlich ein bis zwei Atombomben. Was die „Ungefährlichkeit“ der Anlage angeht, so verweist der ehemalige Betriebschef Nils Rydell darauf, daß das schwere Wasser entfernt worden sei. Ohne solches könne er nicht betrieben werden, Schweden habe keine technischen Möglichkeiten, solches zu produzieren. Was kein grundsätzliches Hindernis wäre. In der Vergangenheit hatte es wiederholt Enthüllungen über Schmuggel von schwerem Wasser gegeben, unter anderem nach Indien, Israel und Südafrika.

Auch wenn es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, daß Schweden derzeit irgendeinen Gedanken an eine eigene Atomwaffenproduktion hat, bleiben im Zusammenhang mit Agesta mehrere Fragezeichen. Angeblich soll im mehr als zehnjährigen Probebetrieb kein Plutonium angefallen sein, was in der schwedischen Anti-Atombewegung immer bezweifelt wurde.

Der Reaktor wurde nach offiziellen Angaben nie demontiert, weil dies zu gefährlich sei. Was nicht erklärt, warum er – abgesehen von den in einem „Zwischenlager“ beim AKW Oskarshamn lagernden Brennstäben und dem schweren Wasser – in nahezu perfekt betriebsbereitem Zustand gehalten wird.

Darüber hinaus gibt es bei der Forschungsanstalt des Verteidigungsministeriums (FoA) eine Spezialeinheit von 25 Forschern, die sich ausschließlich mit Atomwaffenkonstruktion befassen, offiziell zu defensiven Zwecken. Washington Post: „Gewisse westliche Analytiker“ zweifelten an der schwedischen Versicherung, keine Atomwaffen bauen zu wollen.