Wenig Geld – viel Familie

Selten so einverstanden gewesen: Der europäische Filmpreis „Felix“ ging an Gianni Amelios „Lamerica“ / Die Kulturstadt Berlin zieht sich aus der Finanzierung zurück  ■ Von Mariam Niroumand

Berlin (taz) – Man hatte deutlich abgespeckt: Statt wie bisher die Verleihung des europäischen Filmpreises mit großem Pomp und Hallo auf dem Babelsberger Studiogelände symbolisch aufzudeuteln (Marlene-Dietrich-Halle), wurde nun verkleinert und verfeinert. Man traf sich in der Berliner „Bar jeder Vernunft“, solchermaßen, wie Wim Wenders sagte, passend zum 100. Geburtstag des Kinos zu seinen Ursprüngen im Varieté zurückkehrend. Vor allem die Stadt Berlin hat sich aus der Finanzierung zurückgezogen; von den 1,6 Mrd. Mark, die der Europäischen Filmakademie (EFA) diesmal nur noch zur Verfügung standen, kamen gerade mal 740.000 Mark aus Berlin. „Man fragt sich, warum die Stadt, die künftig kulturelles Aushängeschild der Bundesrepublik sein soll, so wenig Interesse an einer Institution hat, um die andere Städte sich reißen“, sagte Wenders. Deshalb will die Akademie sich künftig an andere europäische Träger ankoppeln; der „Felix“ soll fürderhin den krönenden Abschluß eines anständigen europäischen Filmfestivals bilden. Woher allerdings plötzlich der Enthusiasmus kommen soll, der dieses Festival aus nationalen Interessen herauskatapultieren könnte, blieb etwas zweifelhaft. Über mögliche Partner schwieg Wenders sich konsequenterweise aus.

Dabei hätten gerade in diesem Jahr die Nominierungen einen Tusch verdient: Wenn man einmal von Krzysztof Kieslowskis Trilogie „Drei Farben“ absieht, war mit „Im Namen des Vaters“ von Jim Sheridan eine absolut kinofähige Justizskandal-Verfilmung nominiert; daß beide von Gianni Amelios „Lamerica“ überrundet wurden, hat Stil (Amelios 3. „Felix“). „Lamerica“ wurde in Venedig häufig als „gereifter Neorealismus“ gehandelt; in Wahrheit hat die Odyssee eines windigen italienischen Geschäftsmannes durch Albaniens Armenhäuser an der Seite eines Strohmannes etwas von Dante & Vergil im siebten Kreis der Hölle. Eine ähnliche Odyssee, allerdings zweier Terror-Kinder aus Frankreich, zeigt „Le fils du requin“ von Agnès Merlet, der den Felix des jungen Europäischen Films erhielt. Einzig bleibende Ärgerlichkeit: Dieser „junge“ Felix wurde ex aequo vergeben, (die zweite Hälfte ging an „Woyzek“ von Janos Szasz), was angesichts nur dreier zur Auswahl stehender Kandidaten doch wohl eher eine Peinlichkeit ist.

Verzichtet wurde in diesem Jahr auf die sonst üblichen Darstellerpreise. Statt dessen bekam die Autorengruppe „SAGA“ aus Sarajevo einen Preis für ihre Arbeit der Dokumentation, der von Agniesca Holland überreicht wurde, die es nicht lassen konnte, die Arbeit der Gruppe mit der Situation von Entsandten des Warschauer Ghettos zu vergleichen, deren Botschaft auch niemand habe hören wollen.

Komischerweise unterblieben im kleineren Rahmen die Peinlichkeiten, mit denen das Ereignis sonst gern gespickt war: Michel Piccoli war wirklich lustig, Chantal Akerman bei ihrer Laudatio für das Lebenswerk Luc Bessons wirklich intelligent („seine Filme sind keine Idolatrie; sie machen sich kein Bild von dem, was zwischen Himmel und Erde zu sehen ist“) und der Kommentar eines Kollegen zum geschrumpften Budget wirklich apart: „je weniger Geld, desto mehr Familie“.