Selbst nach den Attacken vom Wochenende sind keine Maßnahmen gegen Serbien in Sicht – die UNO-Politik im ehemaligen Jugoslawien wird offenbar durch die Interessen der Außenpolitik einzelner Mitgliedsstaaten geprägt. Aus Split Erich Rathfelder

Im Zweifelsfall für Serbien

Wieder einmal, nach Sarajevo, Goražde und Srebrenica bereits zum vierten Mal, richtet sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf eine „muslimische Stadt vor dem Fall“. Und wieder einmal wird von außen lediglich beobachtet, wie die Bevölkerung einer bosnischen Stadt in Gefahr gerät, ermordet oder vertrieben zu werden. Und es wird konstatiert, daß die Truppen der Vereinten Nationen wie auch die der Nato tatenlos geblieben sind. Und nicht nur vom bosnischen Ministerpräsidenten Haris Silajdzić wird die Frage aufgeworfen, ob die Politik der UNO in Bosnien die Katastrophe von Bihać mitverschuldet hat.

Innerhalb und außerhalb dieser Organisation jedenfalls mehren sich die Stimmen, die ihre Unzufriedenheit mit dem Kurs auf dem Balkan ausdrücken. Besonders aufs Korn genommen werden der persönliche Beauftragte des UNO- Generalsekretärs und Missionschef, Yasushi Akashi, der Oberkommandierende der UNO-Truppen in Ex-Jugoslawien, Generalleutnant Bertrand de Lapresle, und der Oberkommandierende der UNO-Truppen in Bosnien, Generalleutnant Sir Michael Rose. Ihnen wird vorgeworfen, mit ihrer Verzögerungstaktik und ihrer Weigerung, Nato-Luftangriffe anzufordern, die serbische Seite unterstützt zu haben.

Auffällig scheint in der Tat, daß die Begründungen der UNO-Verantwortlichen für ihr Zögern von Tag zu Tag anders ausfallen. So wurde am Freitag erklärt, die Nato-Flugzeuge könnten wegen des schlechten Wetters die Angriffsziele bei Bihać nicht mehr ausmachen. In Wirklichkeit und eigenem Augenschein nach herrschte zumindest in Knin, der „Hauptstadt“ der serbisch besetzten Gebiete Kroatiens, also kaum hundert Kilometer von Bihać entfernt, trockenes Wetter mit guten Sichtverhältnissen – davon abgesehen, daß Nato-Flugzeuge gerade für schlechtes Wetter gewappnet und mit entsprechender Elektronik ausgerüstet sind.

Als weitere Begründung für das Nichteingreifen der Nato wurde erneut auch die Unübersichtlichkeit des Frontverlaufs betont und später dann auf die weiteren Waffenstillstandsverhandlungen mit den „Kriegsparteien“ verwiesen. Als dies angesichts der bohrenden Fragen der Journalisten nicht mehr ausreichte, wurde am Sonnabend von seiten Michael Roses überhaupt keine Begründung mehr abgegeben.

Das alles sind Anzeichen dafür, daß das Verhalten der UNO in bezug auf Bihać nicht mehr nur aus der konkreten Situation erklärbar ist, wohl aber aus einer längerfristig angelegten Strategie. So bestätigte Unprofor-Pressesprecher Alun Roberts am letzten Freitag in Knin die schon verschiedentlich geäußerte Vermutung, seit dem Februar 1994, seit der Errichtung der 20-km-Schutzzone um Sarajevo, verfolge die UNO-Führung vor Ort das Ziel, die bis dahin bestehenden bosnisch kontrollierten Enklaven und UNO-Schutzzonen zu demilitarisieren, was nur ein anderer Ausdruck für die Entwaffnung der bosnischen Regierungstruppen ist.

Schon vor dem serbischen Angriff auf die Enklave Goražde im April dieses Jahres hatten bosnische Regierungsquellen die Ansicht geäußert, General Rose hätte Serbenführer Karadžić zu verstehen gegeben, er könne die Schutzzone Goražde, ohne auf Widerstand der UNO zu stoßen, angreifen, hielte er sich an bestimmte Regeln. Ins Bild paßt, daß die Nato- Luftangriffe damals in Goražde wie jetzt in Bihać begrenzt geblieben sind und der serbischen Seite offenbar lediglich signalisieren sollten, von einer vollständigen Eroberung der Stadt abzusehen. Der Preis für das Überleben der Bevölkerung in Goražde war dann die Entwaffnung der Regierungstruppen. In Bihać könnte die Entwicklung in eine ähnliche Richtung gehen.

Gerne verweisen UNO-Sprecher auf die Begrenztheit des Mandates und die Überparteilichkeit, zu der die UNO in der Region verpflichtet ist. Dabei wird jedoch unterschlagen, daß in verschiedenen Resolutionen des Weltsicherheitsrates das Mandat genau definiert ist und weit über das hinausreicht, was in die Praxis umgesetzt wurde. So hätte jederzeit Nato-Luftunterstützung zum Schutz der eigenen UNO-Versorgungskonvois angefordert werden können, die noch im letzten Monat von seiten der bosnisch-serbischen Armee an der Weiterfahrt in die ostbosnischen Enklaven gehindert worden sind.

Auffällig ist, daß in der UNO- Struktur vor Ort fast alle Schlüsselstellungen sowohl in der Vergangenheit wie in der Gegenwart von Vertretern dreier Staaten besetzt worden sind, die bisher die serbische Position politisch und diplomatisch unterstützt haben: Großbritannien, Frankreich und Rußland. Weiterhin sind Truppenkontingente dieser Länder an strategisch wichtigen Punkten stationiert. Im Gegensatz zur überdimensioniert erscheinenden politisch-administrativen Dominanz macht die Truppenanzahl dieser drei Länder von zusammengenommen rund 11.000 Mann nur ein Viertel der Gesamtzahl der Unprofor-Truppen in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens aus.

Auch wenn UNO-Mitarbeiter darauf verweisen, daß die UNO- Bürokratie durchaus ein Eigenleben führe und die Nationalität der Mitarbeiter keineswegs etwas über deren politische Haltung aussage, so läßt doch das Zusammenspiel der Außenpolitik dieser drei Länder und der UNO-Politik vor Ort aufmerken. In der Frage der Aufhebung des Waffenembargos gegenüber der bosnischen Armee zeigt sich dies am augenfälligsten. Die USA werden sowohl im UNO- Weltsicherheitsrat, in der UNO vor Ort, wie auch – weniger stark – in der Nato blockiert. Die „Politik der Demilitarisierung“, die in Goražde und Bihać zum Preis der Zerstörung dieser Städte und zum Preis von Mord und Vertreibung der Zivilbevölkerung durchgesetzt wird, scheint eines der unerfreulichsten Kapitel der äußeren Einmischung in die Geschehnisse in Ex-Jugoslawien zu werden.