Das Pentagon will nicht nach Bosnien

US-Verteidigungsminister Perry erklärt die Serben zum Sieger / Heftige Kritik der US-Republikaner an der UNO / Dole fordert Absetzung von Blauhelm-General Michael Rose  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Eigentlich wollte man in Washington diese Woche über nichts anderes als die Ratifizierung des Gatt-Abkommens reden – über Zollabbau, durchlässige Grenzen und neue supranationale Organisationen wie die World Trade Organization. Doch statt dessen zeigten sich am Wochenende immer tiefere Risse zwischen Washington und den alteingessenen Institutionen Nato und UNO.

Nachdem beide Organisationen sich Ende letzter Woche angesichts des weitgehend ungestörten serbischen Vormarsches auf die muslimische Enklave und UN- Schutzzone Bihać gegenseitig lahmlegten, erklärte US-Verteidigungsminister William Perry am Sonntag die Serben kurzerhand zum Sieger des Krieges. „Die Serben“, so Perry in einem Interview mit dem Fernsehsender NBC, „haben siebzig Prozent des Landes besetzt. Ich sehe keine Chance für die Muslime, das zurückzuerobern.“

Die Nato sei „machtlos“, an der Situation in Bihać irgend etwas zu ändern. Denn ohne Zustimmung der UNO könne man keine weiteren Luftangriffe auf serbische Stellungen fliegen. Diese Zustimmung aber hatte die UNO Freitag nacht verweigert, als die Nato auf US-amerikanischen Druck hin serbische Luftabwehrstellungen ausschalten wollte. Damit wurde die „UN-Schutzzone“ Bihać mit ihren rund 60.000 muslimischen Einwohnern und Flüchtlingen faktisch aufgegeben.

Im Gegensatz zu Perry gab sich Bob Dole angriffslustig – mittelbar gegen die Serben, unmittelbar gegen die UNO. Den Vereinten Nationen drohte der Fraktionsführer der Republikaner im Senat und potentielle Präsidentschaftskandidat mit einer Kürzung der Finanzmittel, da sie in Bosnien versagt hätten und aufgrund französischer und britischer Bremsmanöver nicht in der Lage seien, die Zivilbevölkerung zu schützen. Der zukünftige Mehrheitsführer im Senat forderte die sofortige Ablösung des britischen Befehlshabers der UNO-Truppen in Bosnien, General Michael Rose, dem man eine zunehmend kameradschaftliche Beziehung zum Kommandanten der serbischen Armee in Bosnien, General Ratko Mladic, nachsagt.

Ginge es nach Dole, sollten die 23.000 UNO-Blauhelme ganz aus Bosnien abziehen. „Die erledigen ihren Job nicht und bringen sich nur selbst in Gefahr.“ Dann wäre der Weg für die USA frei, Waffen an die bosnische Regierung zu liefern, damit „die Bosnier sich wenigstens selbst verteidigen können“. Den Bruch des UN-Waffenembargos und den Zorn westlicher Verbündeter nimmt der Republikaner in Kauf – zumindest als Oppositionsführer.

Noch am Freitag hatte das Pentagon die Entsendung von drei Kriegsschiffen mit 2.000 US-Marines in das Adriatische Meer bekanntgegeben. Dies sei eine „reine Vorsichtsmaßnahme“ angesichts der eskalierenden Kämpfe um Bihać, hieß es. Die US-Marines sind nach Angaben der New York Times unter anderem ausgerüstet, um abgeschossene Nato-Piloten zu bergen oder UN-Blauhelme zu evakuieren.

Doch mit seinem Interview am Sonntag wollte Perry offensichtlich nicht nur seine Einschätzung der militärischen Lage in Bosnien zum besten geben, sondern auch der Clinton-Administration ein öffentliches Signal geben: Nichts fürchtet man im Pentagon derzeit mehr, als daß sich die Clinton-Administration angesichts des jüngsten UNO/ Nato-Debakels in Bihać auf ein militärisch größeres Engagement in Bosnien einlassen könnte.

Noch ist unklar, wie sich das Versagen von Nato und UNO im Fall Bihać auf die Beziehungen zwischen den westlichen Verbündeten auswirken wird. Die Vereinten Nationen, „angetrieben von Frankreich und Großbritannien“, habe militärisch effektive Angriffe auf serbische Stellungen verhindert, erklärte Dole am Sonntag und konstatierte dabei einen „kompletten Zusammenbruch der Nato“.