Streit um Konzept des Jüdischen Museums

■ Der zukünftige Direktor will ein Kulturzentrum mit vielen Aktivitäten / Der Senat sieht es als Teil des Stadtmuseums

„Man kann die deutsche Geschichte nicht betrachten, ohne die jüdische Geschichte darin zu sehen. Beide sind untrennbar miteinander verbunden.“ So denkt und spricht Amnon Barzel, der zukünftige Direktor des neuen Jüdischen Museums. Über die Idee und das Ziel des Museums, den bedeutenden jüdischen Beitrag zur Berliner Stadtgeschichte herauszuarbeiten und darzustellen, sind sich Amnon Barzel und der zuständige Museumsreferent des Kultursenators, Reiner Günzer, völlig einig.

Das neue Museumsgebäude neben dem barocken Berliner Stadtmuseum ist schon im Bau, und die Finanzierung ist gesichert. Bis 1995 entsteht in der Lindenstraße der 150 Millionen Mark teure Bau.

Doch das Bild der Einvernehmlichkeiten zwischen dem Senat und dem aus Israel stammenden Direktor ändert sich, sobald es zur Sache geht: dem Inhalt des Museums. Für Museumsreferent Günzer steht fest, daß das Jüdische Museum ein Teil des Stadtmuseums sein wird, mit einer festen Ausstellung, die alles zusammenträgt, was jüdisches Leben in Berlin bedeutet hat. „Es gibt Unmengen von Objekten, die beispielhaft die Berliner jüdische Geschichte darstellen. Ein Museum definiert sich über seinen Bestand, den Raum, die Menschen.“

Barzel hat da ganz andere Vorstellungen: „Ich bin davon überzeugt, daß dieses Museum ein Kulturzentrum, ein Zentrum der Aktivitäten sein muß – lebendig, aufmerksam, voll sprudelnder Energie. Ich möchte nicht nur historische Objekte zeigen, sondern moderne Kunst und zeitgenössisches Denken.“ Keinesfalls möchte er nur den Holocaust, das Grauen und das Lamentieren darstellen, sondern auch die enorme Kreativität der jüdischen Bevölkerung durch ihre Identität. Das Konzept für das Jüdische Museum, das Barzel, der im Juli als Gründungsdirektor vom Senat nach Berlin geholt wurde, schreiben soll, existiert bisher nur in seinem Kopf. Was den Kultursenator schon „ein wenig nervös“ (Günzer) macht. Barzel, ein Ästhet und Genießer, klagt seinerseits über die unendlich langsamen Bürokraten beim Senat. Er brauche dingend ein Budget, so Barzel, und zwar für Museumspersonal und vor allem für die laufenden Kosten: wechselnde Ausstellungen und künstlerische Performances wie Theater, Musik, Literatur und Tanz. Barzel schätzt, daß er für die Umsetzung seines Konzepts einen Jahresetat von rund sieben Millionen Mark benötigt; zwanzig Mitarbeiter möchte er beschäftigen.

Der Kultursenat sieht die Kosten für die Ausstellung im Bauetat enthalten – und hält sie für ausreichend. „Wenn Herr Barzel wechselnde Ausstellungen möchte, müssen wir die Zusatzbudgets im einzelnen aushandeln“, so Reiner Günzer.

Nur gut, daß Museumsreferent und Direktor gleichermaßen von der eigenwilligen Architektur des neuen Gebäudes angetan sind – auch wenn ersterer es als „Erweiterung des Stadtmuseums“ gesehen haben möchte und den integrativen Charakter betont und Barzel davon nichts hören will. Daniel Libeskinds Modell wurde ausgewählt, weil es das provokanteste war. Das Museum wird keine Türen und keine Fenster haben. Statt dessen unterirdische Zugänge (vom Stadtmuseum) und seitlich einfallende Lichtspalten. Seine Architektur selbst soll schon jüdische Geschichte darstellen. Sie gleicht einem verzerrten Umriß des Davidsterns, den Libeskind zu einem Riß oder Blitz weiter verfremdete. „Sein Entwurf ist voller Assoziationen, voller Symbole jüdischen Lebens. Das Museum wird eines der wenigen Gebäude auf der Welt sein, in denen Leerräume existieren, um das Auslöschen der jüdischen Kultur in Europa auszudrücken“, sagt Barzel. Er kann seine inhaltlichen Versprechungen für das Museum bestens in die radikal moderne Architektur integrieren. Zeitgenössisches im Jüdischen Museum ist für ihn deshalb so wichtig, weil „wir Geschichte heute eben anders sehen, als sie in der Vergangenheit gesehen wurde“. Petra Krischok