■ Tun und Lassen
: Kinderkriege(n)

Und plötzlich haben sie alle Kinder. Eben noch hatte man zusammen studiert, gerade noch hatten sich alle Gespräche um die allmähliche „Ausdifferenzierung der Lebensverhältnisse“ gedreht. Mit denen, die in sicheren Jobs langsam, aber sicher reich werden. Oder mit den anderen, die beruflich noch immer mehr oder weniger vor sich hindümpeln. Das ging jeden an, da kannte man sich aus. Und plötzlich haben sie alle Kinder. Und man kennt sich überhaupt nicht mehr aus.

Gerade bei denen mit den ganz neuen, ganz kleinen Kindern. Nicht weiter tragisch oder auch nur überraschend ist der thematische Überhang an gesprächsweiser Durcharbeitung des neuen Erdenbürgers. Schließlich ist man daran – Neugier! – nicht ganz unbeteiligt. Und an der Unterbrechung ausnahmsweise einmal nicht kindzentrierter Unterhaltungen durch beharrlich wiederkehrende Duzi-Duzi-Anfälle – Entzücken! – nicht minder. Aber, und jetzt kommt's: Die jungen Eltern werden plötzlich leider völlig unberechenbar.

Bis dato ökomäßig gänzlich unauffällige Menschen kaufen Windeln aus kratzender Schafschurwolle, verbieten Großeltern und wohlgesonnenen Freunden die Verfütterung nicht strikt biologisch angebauter Lebensmittel, schmieren Weleda statt Penaten und quälen ihre Kinder zwecks Penicillinvermeidung gnadenlos durch Mittelohrentzündungen. Die Kontroll- und Gegengruppe verfällt derweil ins andere Extrem: Radikal wie gemäßigt Ökobewußte ersetzen ihren Wiener- Kalk-Scheuersand durch Sagrotan und schaffen sich Mikrowellen, elektrische Wäschetrockner und Baby-Spezial-Eierkocher an.

In den Wohnungen ehemaliger GeschmacksterroristInnen mit Wassyli-Lederschwinger und Braun-Toaster schwappen einem jetzt Fisher-Price-Telefone entgegen, Puppen mit dümmlichem Gesichtsausdruck sitzen penibel aufgereiht neben ungezählten Stofftieren, und das Kinderzimmer ist mit grünen Elefanten tapeziert. Bei anderen dagegen verrät nur stilles Weinen aus der ehemaligen Rumpelkammer, daß auch hier Kinder leben. Sagen kann man dazu nichts, das ist schließlich Geschmackssache.

Wortgewaltige VetreterInnen der Vereinbarkeit von Kind und Beruf predigen nun kindliche Entwicklungsvorteile durch vieljährige Elternexklusivbetreuung und betrachten jene, die sich für Tagesmütter oder Krippen entschieden haben, mit diesem speziellen überlegen-mitleidigen Blick, der äußerste Mißbilligung kaschiert. Strenge RationalistInnen halten lange Vorträge über die pränatale Förderung „ihres“ Embryos mittels Mozart-Sinfonien. Und während die einen ihren Säugling mit ins Mitternachtskino schleppen, verfrachten die anderen ihre Kinder grundsätzlich – grundsätzlich! – um sieben ins Bett. Auch dazu kann man nichts sagen, das ist schließlich Privatsache.

Natürlich prallt das alles nicht einfach an einem ab. Und gewöhnlich wird man von Fall zu Fall entscheiden, ob man sich daran gewöhnen, sich damit abfinden oder darauf hoffen will, daß sich um Gottes Willen alles wieder normalisieren möge. Aus ist's freilich, wenn man das neue Kind nicht leiden kann, weil es häßlich oder einfach unsympathisch ist. Das ist wie mit der idiotischen neuen Freundin des besten Freundes: heikel. Vor allem dann, wenn sich die neuen Eltern wie ehemalige Raucher aufführen und militant die geteilte Babybegeisterung einklagen oder Frauen ohne Kinder mit diesem speziellen überlegen-mitleidigen Blick betrachten, der...

Bei mir wird das mal ganz anders. Ich nehme mein Kind einfach mit ins Büro, die anderen dürfen ihre Hunde ja auch mitbringen. Und ich kaufe ihm Lackschuhe mit rosa Schleifen. Und Krachlederne. Und keiner wird was sagen können, denn das ist schließlich meine Sache. Elisabeth Jean