: Erfolgreich angeschoben
■ Am vergangenen Wochenende wurde unter Mithilfe des Bremer Umweltwerks der „Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken e.V.“ aus der Taufe gehoben
Solange sie lebte, hat Hannah Arendt es keiner Seite recht gemacht: Nicht den kalten Kriegern. Ihre Totalitarismus-Theorie warf zu viele beunruhigende Fragen über den historischen Ursprung der massenhaften Leichenproduktion auf, um als Schlagstock „der Freiheit“ im Kampf der Systeme zu taugen. Nicht den Liberalen. Die schreckten vor ihrem republikanischen Revolutionsbegriff zurück, und ihnen mißfiel die Kritik an der Vorstellung von der „unsichtbaren Hand“, die die zusammengezählten Egoismen angeblich in Gemeinwohl verwandelte. Nicht den Sozialisten. Für sie war Hannah Arendt eine blinde Antikommunistin. Außerdem hatte sie sich erdreistet, marxistische Lieblingstheoreme wie das von der Zentralität der Arbeit oder von der „Rücknahme“ der entfremdeten Politikformen in die Gesellschaft rigoros zu verwerfen. Und auch den revoltierenden Studenten nicht. Hannah Arendt liebte sie zwar und teilte ihre Neigung für die Räte. Aber sie verfolgte unnachsichtig den Utopismus wie die Gewaltfetischisierung der „Neuen Linken“. So stand Hannah Arendts Ruhm im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Wirkung.
Das änderte sich in den 80er Jahren. Zur Solidarność-Zeit, als das Projekt der selbstverwalteten Republik blühte, erschienen erste Aufsätze von ihr in der Presse des „zweiten Umlaufs“. Im Revolutionsjahr 1989 avancierte sie dann in Ostmitteleuropa neben Herrn de Tocqueville zum einflußreichsten „Klassiker“, zu der Theoretikerin der „constitutio libertatis“. Und auch in den USA wandten sich ernüchterte Linke wieder einer Idee vom politischen Handeln zu, das seinen Ursprung in den „gründenden Vätern“ des amerikanischen Verfassungs-Bundes nicht verhehlte. Kein allzu halsbrecherisches Manöver, denn der Kommunitarismus mit seiner Vorstellung des republikanischen Gemeinwohls begann schon das politische Klima zu verändern. Zur gleichen Zeit dechiffrierten angelsächsische Historiker hinter dem Liberalismus die ältere, später absorbierte Schrift des „Republikanismus“. Arendts emphatischem Begriff republikanischer „Gründung“ und einer selbstverantwortlich-autonomen Sphäre des politischen Handelns war damit ein geschichtliches Fundament eingezogen.
In Deutschland sorgte zwar das Product Management der Bundesbahn dafür, daß der ICE „Hannah Arendt“ die Namensgeber-Liste weiblicher Berühmtheiten geringfügig erweiterte. Ansonsten aber: Kein Anschluß unter dieser Nummer. Nicht daß es an überzeugenden Versuchen ihrer wissenschaftlichen Vergegenwärtigung gefehlt hätte, seitens Ernst Vollraths etwa oder Ingeborg Nordmanns. Aber paradoxerweise war Hannah Arendts Denken gerade bei jenem politischen Prozeß abwesend, für den sie das entscheidende Stichwort der „Gründung“ hätte liefern können: der deutschen Vereinigung. Die politischen Energien, die von den demokratischen Revolutionären in der DDR ausgegangen waren, mündeten schließlich im Rinnsal der Enquetekommission, um dann gänzlich zu versiegen. Sie wurden aufgefressen von der Sorge um die Bewältigung des täglichen Lebens.
Aber die Frage, in welcher Republik „wir“ eigentlich leben wollen, ist damit nicht erledigt. Es schwelt das Unbehagen am „Weiter so!“, auch an der Selbstverständlichkeit, mit der die abgeleb
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ten politischen Milieus der alten BRD sich fortsetzen. Die Arendtsche Denkungsart findet Anhänger unter Linken, die sich nach mancher Irrfahrt dem Primat der Freiheit verschrieben haben und sich gerade deswegen den herrschenden politischen Verhältnissen nicht anbequemen wollen; aber auch aufgeklärte Konservative, angezogen durch von Weizsäckers Kapuzinerpredigten, rumoren im Untergeschoß der konservativen Parteien. Zoltan Szankay und Antonia Grunenberg, politische Philosophen und Nonkonformisten dazu, reagierten auf dieses diffuse Mißvergnügen mit den Mitteln des deutschen Vereinsrechts. Letztes Wochenende wurde in Bremen unter tätiger, wenngleich diskreter Mithilfe des Bremer Bildungswerks „Umwelt und Kultur“ ihr und ihrer Freunde Projekt, der „Hannah-Arendt- Preis für politisches Denken e.V.“ aus der Taufe gehoben.
Dies geschah im Rahmen der Tagung „Einschnitte – Hannah Arendts politisches Denken heute“. Will man den Ertrag des Treffens als Indiz für die Entwicklungsmöglichkeiten der Sache nehmen, so kann als Urteil gelten: Erfolgreich angeschoben. Agnes Heller eröffnete die Tagung mit einem furiosen Angriff auf die political correctness in Gestalt der „Biopolitik“ und beschloß sie, indem sie angesichts des „allgemeinen Weltzustands“ auf der Möglichkeit freien, verantwortlichen Handelns bestand.
Zwischen verordneter Gründung und verpaßtem Neuanfang siedelte Claus Leggewie seine Interpretation des Gründungsmythos am Beispiel der bundesrepublikanischen Geschichte an. Nach dem Dreiklang Postnationalismus – Prosperität – Antiextremismus, den die Nachkriegs-Gründungsgeneration der Flakhelfer angeschlagen hatte, erfolgte, gleichsam wider Willen und im Rücken der radikalen Akteure, in den 60er Jahren eine Umgründung der BRD, zu deren Ertrag die zivilgesellschaftlichen Strukturen der späten Bonner Republik wurden. Wer aber werden die Akteure sein, die der neuen, der Berliner Republik zu ihrem Gründungsmythos verhelfen werden? „Wo zu wenig Gründung herrscht, wird Gewalt herrschen“ – so Leggewie, Arendt zitierend.
Zoltan Szankays elaborierte, mäandernde Rede gemahnte die Zuhörer, wie nachhaltig Hannah Arendt über ihr kurzlebiges Techtelmechtel hinaus in Anziehung wie Ablehnung von Heideggers Denken beeinflußt war. Szankays unverblümtes Verdikt über die Praxis der Runden Tische (als Produkte einer Ideologie, die gegen republikanisch-institutionelles Denken gerichtet ist), seine Polemik gegen die Verkürzung des Politischen zur Soziologie forderte und erntete Widerspruch – vor allem seitens Eva Senghaas-Knoblochs. In der Tat fällt es schwer, die Verbannung „gesellschaftlicher“ Themen aus der Politik bei Hannah Arendt nachzuvollziehen, ein Problem, um dessen Lösung Agnes Heller und Ferenc Feher in den 80er Jahren bemüht waren.
Antonia Grunenberg rekonstruierte den Machtbegriff Hannah Arendts. Macht und die Begründung republikanischer Institutionen, potentia und potestas hängen bei ihr eng zusammen. Macht auszuüben bedeutet öffentlich und kommunikativ zu handeln, Gewalt hingegen ist stumm – eine Einsicht, die Hannah Arendt in den 60er Jahren den rebellieren den Studenten nachhaltig um die Ohren schlug. Die Machtausübung fordert einen Zustand reflektiver Mobilisierung. Deshalb kann Macht auch, so Antonia Grunenberg im Anschluß an Margaret Canovan, verschwinden, wenn die bürokratisch-zentralisierten Institutionen „übermächtig“ werden. Oder wiedergeboren werden in den Bürgerbewegungen. Dies der Sinn der Anrede Pavel Kohouts im 68er Jahr: Bürger Mitregierende! Antonia Grunenberg suchte Hannah Arendts Machtdeutung auch gegen das Prinzip des Nationalstaats zu wenden – ein interessantes Unternehmen, dessen Implikationen (Ist die Idee der Republik nicht an je unterschiedliche „politische Sprachen“ gebunden?) allerdings nicht ausgelotet werden konnten.
Schließlich Dick Howard. Der Totalitarismus konnte seiner Meinung nach nur auf dem Boden der Demokratie ins Kraut schießen, Produkt des unbedingten Willens, die Revolution zu Ende zu führen. Der „Militante“ ist bien-penseur, er denkt sich die Welt schön, er muß das Neue in der Geschichte negieren, in seinem Kopf ist kein Platz für(s) Urteile(n). Dabei käme es gerade darauf an, den Willen als Prinzip durch das politische Urteil zu ersetzen. Auf Kants Kritik der Urteilskraft rekurrierend, hat Hannah Arendt zuletzt an einer Theorie des Urteilens gearbeitet, die mehr ist als das Meinen, die, ähnlich wie die Kantischen Geschmacksurteile, angelegt ist auf Dialog, auf Verallgemeinerung kraft Anerkennung. Der Urteilende, so Howard, muß sich dem Neuen stellen, auch wenn er damit sich selbst in Frage stellen müßte.
Den organisatorischen Abschluß der Debatte belebte Dany Cohn-Bendits Bericht „Meine Begegnungen mit Hannah Arendt und welche Schlußfolgerungen ich nach und nach aus ihrem Werk gezogen habe“. Cohn-Bendit sprach sich dafür aus, Preis und Förderpreis ausschließlich an streitbare Individuen (und nicht an Initiativen etc.) zu verleihen und – politically correct – mit einer Frau den Anfang zu machen. Beides stieß erwartungsgemäß auf Zustimmung. Einigkeit auch, daß die Tätigkeit des Vereins nicht an den Grenzen Deutschlands enden, daß insbesondere ost- bzw. mittelosteuropäische Persönlichkeiten einbezogen werden müßten. Schließlich und wichtigstens: Obwohl Bremen Sitz des Vereins ist, zwei Senatoren zu den Geldgebern gehören und die Grünen-nahe Stiftung „Umwelt und Kultur“ das organisatorische Korsett abgibt, soll der Verein sich quer zu den politischen Lagern entwickeln. Mit der Aufnahme Ernst Vollraths, dem einst von der radikalen Linken Geschmähten, in die Jury ging der Verein mit gutem Beispiel voran. Christian Semler
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