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Rücktritt mit Folgen in Ankara

Nach dem Ausscheiden des türkischen Außenministers wackelt die Koalitionsregierung / Streit um Demokratisierungsgesetz / Islamisten mobilisieren gegen den Entwurf  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Der Fortbestand der türkischen Koalitionsregierung unter Ministerpräsidentin Tansu Çiller ist nach dem Ausscheiden des türkischen Außenministers Mümtaz Soysal gefährdet. Soysal, der am Montag abend seinen Rücktritt einreichte, hatte schwere Vorwürfe gegen Çiller erhoben. Die Ministerpräsidentin mische sich ständig in innere Angelegenheiten des Außenministeriums, erklärte er. Ein Konflikt zwischen Çiller und Soysal bei der Personalentscheidung um die Berufung eines Staatssekretärs ins Außenministerium brachte das Faß zum Überlaufen. Provisorisch wird der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Volkspartei und stellvertende Ministerpräsident Murat Karayalcin als Außenminister fungieren.

Nur 125 Tage dauerte die Amtszeit Soysals. Seine Berufung als Außenminister war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß man den Verfassungsrechtsprofessor, der mehrere Gesetzesinitiativen der Regierung vor dem Verfassungsgericht zu Fall brachte, als Regierungsmitglied zähmen wollte. Das Gegenteil passierte. Soysal war binnen kürzester Zeit ein populärer Gegenpol zu Çiller und repräsentierte das Gewissen des kleineren sozialdemokratischen Koalitionspartners. Der widerspenstige Jurist, der Anfang der siebziger Jahre wegen der Veröffentlichung des Buches „Einführung in die Verfassung“ eineinhalb Jahre im Militärgefängnis verbrachte und Ende der siebziger Jahre hohe Posten bei amnesty international bekleidete, zehrte von seinem Image als „Verteidiger der Menschenrechte“. Immer wieder erinnerte Soysal an die Demokratisierungsreformen, die im Koalitionsprotokoll festgelegt sind.

Daneben ist er jedoch in der Kurdistan-Politik ein nationalistischer Falke. Er suchte die Annäherung zum Regime Saddam Husseins im Irak, verbot Journalisten den Grenzübergang in den kurdischen Nordirak und ausländischen Menschenrechtsdelegationen den Besuch bei Richtern und Staatsanwälten in der Türkei. Der Stationierung alliierter Militärverbände in der Türkei, die nach dem Golfkrieg begann, um die irakischen Kurden vor Übergriffen Bagdads zu schützen, stand er ablehnend gegenüber.

Der wesentliche Sinn für den Fortbestand der Koalition war in Soysals Augen das sogenannte „Demokratisierungspaket“ der Koalition. Nach monatelangen internen Auseinandersetzungen einigten sich die Koalitionsparteien auf eine Reform des Antiterrorgesetzes.

Die Teilliberalisierung des Antiterrorgesetzes würde für Hunderte Intellektuelle, die aufgrund kritischer Publikationen oder Reden zur Kurdenfrage im Gefängnis einsitzen oder deren Verurteilung bevorsteht, die Freiheit bedeuten. Nur die unmittelbare Unterstützung der kurdischen Guerilla PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) durch Wort oder Schrift fiele nach dem neuen Gesetz noch unter Strafe. Gleichzeitig sah der neue Gesetzentwurf Strafen für die Verherrlichung von Terrorakten islamistischer Radikaler vor.

Seit Wochen mobilisieren die Islamisten erfolgreich gegen den Gesetzentwurf. „Die seperatistischen Terroristen werden freigelassen, und die Muslime kommen in die Gefängnisse“, heißt es. Viele konservative Abgeordnete von Çillers Partei des rechten Weges haben sich den öffentlichen Protesten gegen die Reform des Antiterrorgesetzes angeschlossen.

Das Ja von Ministerpräsidentin Çiller zur Reform des Antiterrorgesetzes war die Gegenleistung dafür, daß die Sozialdemokraten bei der Verabschiedung des Privatisierungsgesetzes der Koalitionsregierung keine Steine in den Weg legen.

Vergangene Woche wurde das Privatisierungsgesetz vom türkischen Parlament verabschiedet. Nach Verabschiedung des Privatisierungsgesetzes – Ministerpräsidentin Çiller sprach von „Revolution“, Außenminister Soysal von „Konterrevolution“ – warnte Soysal: „Nachdem dieses Gesetz verabschiedet ist, muß das neue Antiterrorgesetz als Teil der Demokratisierung verabschiedet werden. Falls nicht, ist die Koalition in Gefahr. Wenn eine Partei in der Koalition ständig betrogen wird, kann die Koalition nicht fortbestehen.“

Doch die Fraktion der Partei des rechten Weges scheint keineswegs bereit zu sein, die Reform des Antiterrorgesetzes mitzutragen. Es ist durchaus möglich, daß Soysal Hauptakteur des Koalitionsbruchs wird. Im Januar ist Vereinigungsparteitag zwischen der Sozialdemokratischen Volkspartei mit der kleineren sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei. Soysal hat gute Chancen, zum Vorsitzenden gewählt zu werden.

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