„Ihr steht ganz oben auf der Kartei“

Bombendrohung und Drohbriefe gegen den Münchner Aktionskünstler Wolfram Kastner wegen zweier antifaschistischer Happenings in der Bundesrepublik und Österreich  ■ Aus München Klaus Wittmann

Der Anruf bei Wolfram Kastner kam kurz vor elf Uhr. Der Mann sprach Salzburger Dialekt. „Ihnen werden wir auch noch eine Briefbombe schicken“, bellte die Stimme – und legte auf. Das war am 11. November. Am selben Tag bekam eine Bekannte des Künstlers einen Brief. „Das Judengesülz ist langsam genug. Es reicht. Ihr steht ganz oben auf unserer Kartei“, stand in dem Schreiben, das irreführenderweise Kastners Absender trug, das in München abgestempelt wurde und nun bei der Kripo liegt. Auf dem Kuvert waren die Geburtsdaten der Empfängerin und des Absenders vermerkt. „Damit wollten die offenbar zeigen, daß sie über uns genau Bescheid wissen“, erklärt Kastner. Der Mann seiner Bekannten ist jüdischer Abstammung.

Gegen die Feier der SS-Kameraden in Salzburg

Wie die taz berichtete, hatte der Performer kurz zuvor von sich reden gemacht. Zum Gedenken an die Reichspogromnacht wollte er Anfang November mit einer Kunstaktion in der Münchner Fußgängerzone zum Nachdenken anregen. Männer in SA-Uniform sollten, wie schon ein Jahr zuvor, fünf Personen mit Davidsternen durch die Innenstadt führen. Dies wurde zunächst vom Bauamt verboten – mit der hanebüchenen Begründung, Passanten könnten nicht gleich erkennen, „daß es sich um eine nachgestellte Szene handelt“. Erst nach öffentlichem Wirbel kam es zu einem Anruf des Büros des Oberbürgermeisters bei Kastners Anwalt: Die Performance könne später unbeanstandet durchgeführt werden.

„Der Drohbrief geht ganz offensichtlich auf diese geplante Aktion zurück“, vermutet Kastner. Denn dem anonymen Schreiben lag eine Kopie der Presseberichte bei. Ob ein Zusammenhang mit der telefonischen Briefbombendrohung besteht, müssen polizeiliche Ermittlungen ergeben. Der Salzburger Dialekt des Anrufers läßt auf eine Verbindung zu einer weiteren Kunstaktion Kastners vom 1. November in Salzburg schließen. Alljährlich geschieht nämlich an diesem 1. November unfaßbar „Normales“ auf dem Kommunalfriedhof der Mozartstadt.

Da marschieren zu Blasmusikklängen rund 100 Mitglieder der „Kameradschaft IV der Waffen-SS“ auf und gedenken mit Kranz ihrer „gefallenen“ Kameraden. Dies alles geschah, wie sich Kastner erinnert, „auch heuer wieder und zwar im Beisein von Vetretern von Jörg Haiders FPÖ“. Ihn habe geschaudert bei dem braunen Spuk, erinnert sich der Künstler, der zur Zeit eine Ausstellung in der Salzburger Galerie 5020 mit einer Installation bestückt. „Mit dem Ende der Marschmusik trat einer vor und rief mit Kommandostimme: ,Kameradschaft vier – nach vorne wegtreten!‘“, so Kastner.

Kastners Konsequenz war, nach dem Ende der Veranstaltung die Kranzschleife mit der Aufschrift „Den gefallenen Kameraden der Waffen-SS“ abzuschneiden und diese Kranzschleife als Dokument seiner Installation in der besagten Galerie beizufügen. Außerdem legte Kastner einen Zettel zwischen die Gräber mit dem Text: „Haben Sie Frau Helene Weingarten gesehen? (vermißt seit 1943 in Auschwitz)“. Es dauerte etwa eine Stunde, da war die Staatspolizei in Kampfanzügen auf dem Friedhof angerückt, um den „Täter“ zu suchen. Kastner erhielt prompt eine Anzeige der alten Kameraden wegen „Friedhofsschändung“.

Einen Tag nach der Gedenkfeier auf dem Kommunalfriedhof drangen zwei Mitglieder der Waffen-SS-Kameradschaft, ein Salzburger Anwalt und der Ex-Polizeichef, in die Galerie 5020 ein und klauten ihrerseits die Kranzschleife. Der Bürochef des FPÖ- Landesrates Schnell, Dietmar Schmittner, schlug sich voll auf die Seite der alten Kameraden. Er kündigte als Reaktion auf die „pietätlose Tat“ Kastners einen Vorstoß zur Streichung sämtlicher Subventionen für die Galerie 5020 an. Kastner hat die Salzburger aufgerüttelt. Ein Hofrat schrieb an die Salzburger Nachrichten: „Da der Anfänge zu spät gewehrt wurde, ist dieser Dummheit, die ihre Überlegenheit vom Zufall des Geburtsortes herleitet, heute um so entschiedener entgegenzuwirken. Sie hatten den Mut, Herr Kastner.“ Kastner will weiter Mut beweisen. Am vergangen Sonntag war er erneut in Salzburg. Zur Installation seines „Unsichtbaren Denkmals“ an der Staatsbrücke. Die große Brücke trägt ein schmuckloses Schild mit der Jahreszahl „1948“. Doch sie wurde nicht etwa 1948 dem Verkehr übergeben, sondern am 27. November 1944. Und sie hieß auch nicht Staatsbrücke damals, sondern Todt-Brücke – nach dem Nazi-Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen und Reichsminister für Bewaffnung und Munition. Thomas Bernhard hat die Bauarbeiten, die viele russische Zwangsarbeiter das Leben kosteten, beobachtet und beschrieben: „Auf dieser größten Baustelle der Stadt sehe ich heute noch die ... an den Brückenpfeilern hängenden russischen Kriegsgefangenen als Zwangsarbeiter, ausgehungert und von rücksichtslosen Tiefbauingenieuren und Polieren zur Arbeit angetrieben; viele von diesen Russen sollen entkräftet in die Salzach gefallen und abgetrieben worden sein.“

Daher der Entschluß Kastners, in Zusammenarbeit mit der Elisabethbühne Salzburg das „Unsichtbare Denkmal“ zu errichten. Es besteht aus einem entsprechenden Bernhard-Text, der in einen schwarzen Sack gepackt wurde. Darin heißt es: „Die äußeren Spuren des Nationalsozialismus in Salzburg waren tatsächlich vollkommen ausgelöscht gewesen, als hätte es diese entsetzliche Zeit nicht gegeben.“ Den Sack vergrub der Künstler an der Staatsbrücke. Und am 30. Januar 1995, kündigte Kastner an, werde er seine Aktion in der Münchner Fußgängerzone machen, auch wenn es nach wie vor dem zuständigen Sachbearbeiter im Baureferat nicht paßt.