Folterer im Ordnungsamt

■ Prozeßserie wegen Mißhandlung von Vietnamesen / Sexueller Mißbrauch gestanden

Frankfurt (Oder) (taz) – Sigurd S. hat gestanden. Er habe, so erzählte er seinen Richtern, zwei vietnamesische Händler beim Verkauf geschmuggelter Zigaretten ertappt und vorläufig festgenommen. Dann brachte er sie in sein Büro, drohte ihnen mit Abschiebung, mißhandelte und mißbrauchte sie sexuell. Das war im Sommer 1993. Gestern wurde Sigurd S. vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) der Prozeß gemacht. Der 29jährige ist Mitarbeiter des Ordnungsamtes Biesenthal bei Bernau in Brandenburg.

Das Landeskriminalamt Brandenburg war auf den Fall aufmerksam geworden, als es gegen die Polizeidienststelle Bernau wegen Mißhandlungen von Vietnamesen ermittelte. Hinweise hatte es von der Flüchtlingsinitiative „Reistrommel“ bekommen, die mehrere Fälle von Mißhandlungen durch die Polizei dokumentiert hatte. In diesem Zusammenhang hatte eines der Opfer auch über den sexuellen Mißbrauch durch Sigurd S. gesprochen. Jetzt müssen sich nicht die rund 20 Bernauer Polizeibeamten, gegen die ermittelt wird, als erste vor Gericht verantworten, sondern der Mitarbeiter des Ordnungsamtes Biesenthal.

Seine Aussagen machte Sigurd S. allerdings nur hinter verschlossenen Türen. Der Vorsitzende Richter Paul Herrmann Piira hatte die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung ausgeschlossen. Persönlichkeit und Privatsphäre des Angeklagten sollten geschützt werden, gab der Richter zur Begründung an. Eine Entscheidung, die bei der Staatsanwältin und dem Vertreter der Nebenklage auf Unverständnis stieß. Schließlich sei das begründete öffentliche Interesse an diesem Fall besonders groß. Der Verteidiger von Sigurd S. hatte zuvor jedoch deutlich gemacht, daß umfangreiche Einlassungen des Angeklagten nur bei Ausschluß der Öffentlichkeit zu erwarten seien. Darauf hatte sich Richter Piira auch deswegen eingelassen, um den Opfern eine entwürdigende Befragung zu den Details der sexuellen Nötigung zu ersparen.

Laut Anklageschrift soll Sigurd S. die beiden Vietnamesen im Mai und Juni vergangenen Jahres genötigt haben, sich in seinem Dienstzimmer vollständig auszuziehen. Ein, so der ermittelnde Kriminalkommissar Horst Kühn, bei der Bernauer Polizei „übliches“ Verfahren bei der Durchsuchung von vietnamesischen Zigarettenhändlern. Anschließend hatte sich auch der Angeklagte ausgezogen, dann – allerdings vergeblich – versucht, eines seiner Opfer zum Analverkehr zu zwingen.

Der ermittelnde Beamte des Landeskriminalamtes sagte als Zeuge vor Gericht, der Angestellte habe keine Angst gehabt, daß die Opfer ihn anzeigten. „Sie waren von ihm abhängig, da er die Originalaufenthaltsgenehmigungen der Ausländer einbehalten konnte.“

Der Staatsanwaltschaft liegen insgesamt 15 Anzeigen gegen Polizisten des Polizeischutzbereichs Bernau vor, die Vietnamesen mißhandelt haben sollen. Die Opfer legten Gedächtnisprotokolle zu den Mißhandlungen vor. Acht Polizisten wurden daraufhin vom Dienst suspendiert. Bislang wurde nur der Angestellte des Ordnungsamtes angeklagt. Im Januar sollen die ersten Polizisten angeklagt werden. Christoph Seils