Nicht allzu freundlich

■ "Hans Christian Andersen spielen" - Ein Puppentheater- Festival in der Schaubude, keineswegs nur kindertümelnd

„In China, wo die Chinesen wohnen, ist selbst der Kaiser ein Chinese.“ So beginnt das Märchen von Hans Christian Andersen „Die Nachtigall“. Dabei handelt es sich um eine chinesische Nachtigall, das versteht sich, und sie schlägt ebenso schön wie die unsrige. Drei Bearbeitungen dieses Märchens zeigt die Schaubude während des Festivals „Hans Christian Andersen spielen“. Eingeladen wurden das Figurentheater Gingganz (Göttingen) und die Puppet Players (München), jeweils mit einer Schattenspielfassung des Textes, sowie das Papiertheater Svalegaangens Dukketeater Århus aus Dänemark. Außerdem ist „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“ als Handpuppenspiel und das Märchen der „Kleinen Seejungfrau“ in einer Kinder- und in einer Erwachsenenadaption zu sehen.

Eine garantiert sichere Zugnummer

Nun ist der Dezember der traditionelle Theatermonat für Weihnachtsmärchen. Die Kinder- und Jugendtheater setzen damit auf eine garantiert sichere Zugnummer. Doch die Bezeichnung „Weihnachtsmärchen“ ist zu einem Negativbegriff für traditionelles und kindertümelndes Repertoiretheater geworden, leider oft zu Recht. Die Schaubude will mit dem Andersen-Festival das Weihnachtspaket inhaltlich und mit einem „modernen“ Märchendichter füllen. Andersen, ein Zeitgenosse der Gebrüder Grimm, also aus dem 19. Jahrhundert herübergrüßend – mit einem modernen Weihnachtsmärchen?

In die Bourgoisie hineinmanövriert

In seiner Autobiographie „Meines Lebens Märchen“ beschreibt Andersen ein heute skurril wirkendes Zusammentreffen. Ein unangemeldeter Besuch beim Meisterbrüderpaar in Berlin: „,Wer sind Sie?‘ fragte er, und ich nannte meinen Namen. Jakob Grimm sagte darauf fast verlegen: ,Ich entsinne mich nicht, Ihren Namen früher gehört zu haben. Was haben Sie geschrieben?‘“ Heute ist der Name Andersen schon fast zu einem Synonym für Märchen geworden. Dabei entstanden sie eher als Nebenprodukt seines schriftstellerischen Schaffens. Vornehmlich war er Autor von Theaterstücken, Romanen und Reisebeschreibungen. Doch gesellschaftliche Anerkennung und Auszeichnungen wurden Andersen hierfür erst spät zuteil.

Nur für seine Märchen erntete er, sieht man von der obigen Episode einmal ab, uneingeschränkte Anerkennung. Selbstbewußt strich er daraufhin den früher geführten Untertitel „erzählt für Kinder“. Im Gegensatz zu den Grimms, die Volksmärchen sammelten und bearbeiteten, hat Andersen eigene Geschichten geschaffen. Sicher hat er nordische Märchenelemente eingearbeitet, aber vornehmlich zeichnet er die bürgerliche Welt ab, und das nicht aufs freundlichste. Als Sohn eines armen Schuhmachers hatte Andersen sich mit manischer Ausdauer und Ehrgeiz in die Bildungsklasse manövriert, die er nun karikierte. Einige autobiographische Züge finden sich nicht nur im „Häßlichen Entlein“, die sein Lebensgefühl, immer fremd im höfischen Entennest zu sein, widerspiegeln. Im Gegensatz zu den Volksmärchen liegt hier auch der moderne, das heißt bürgerliche und aktuelle Andersen. Immer wieder geht es um Armut, Klassenverhältnisse, Parodien auf den Hof und die Oberschicht – „Des Kaisers neue Kleider“ oder „Die Nachtigall“.

Im Festivalprogramm sind die Erwachsenenmärchen durch die Produktion des Figurentheaters Homunkulus (Berlin) vertreten. Sie zeigen eine Collage aus Texten von Else Lasker-Schüler und der „Kleinen Seejungfrau“. Mit einer Adaption desselben Märchens, hier für Kinder, eröffnete die Städtische Bühne Chemnitz das Festival. Es tummelten sich barbiehafte Blondinen-Undinen neben Muppet-Monstern. Die Textfassung (Andrea Czesienski) schaut der Jugend aufs Maul: Der heiratsverordnete Prinz fährt zu seiner „Alten“ oder, wieder ein Privileg des Adels, „seekranke Prinzen müssen nicht kotzen“. Das Publikum, zwischen vier und sieben Jahre alt, nahm's staunend und mit großen Weihnachtsbaumaugen freundlich auf, zumal es gluckerte und blitzte, wenn besagter Seegang war.

Der Auftakt war wohl eher eine Havarie, aber noch lange nicht das Programm des Festivals, das noch bis zum 11. Dezember läuft. Im Festivalprogrammheft wird eingehend der Frage nachgegangen, warum gerade Andersen-Märchen so häufig als Puppen-, Schatten- und Papiertheater gespielt werden. (Ursprünglich waren Workshops hierzu geplant, die mangels Budget nicht zustande kamen). Erklärungen gibt es nun hierfür viele. Eine besagt, daß die asiatische Herkunft des europäischen Schattenspiels verantwortlich sein könnte für das Faible, „Die Nachtigall“ auch hier als Schattenspiel zu zeigen.

Wie dem auch sei: Die Frage, ob Andersen als Märchenautor wohl noch so große Anerkennung gezollt worden wäre mit der Version: „In Dänemark, wo die Dänen wohnen, ist selbst der König ein Däne“ muß offen bleiben.

„Hans Christian Andersen spielen“, bis 11. 12., Puppentheater Berlin