Dumme Forschung

■ betr.: „Umwelt oder Erbanla gen?“ (Zwillingsforscher suchen jetzt im Gehirn nach Antworten), taz vom 21. 11. 94

Zwillingsforschung hat wieder Hochkonjunktur. Denn Forschungsprojekte mit dem Ziel, Beziehungen zwischen Verhalten und Erbanlagen nachzuweisen, stehen hoch im Kurs. Wissenschaftler dürfen wieder – wie jüngst die US- amerikanischen Autoren des Buches „Die Glockenkurve“ – laut die Behauptung äußern, daß Intelligenz eine Frage der Gene sei und Schwarze und soziale Randgruppen grundsätzlich von „Natur“ aus benachteiligt sind. Und allwöchentlich warten MolekularbiologInnen mit neuen spektakulären Erkenntnissen in Sachen menschliches Verhalten auf: vom Schwulen-Gen bis zum Treue-Gen, vom Aggressions-Gen bis zum Intelligenz-Gen, alles ist schon einmal identifiziert worden. Macht nichts, daß mit schöner Regelmäßigkeit die Meldungen sich alle als Flop erweisen. Macht nichts, daß die jüngste US-amerikanische Untersuchung bei Zwillingen in Sachen Liebesleben keinerlei Anhaltspunkte für eine genetische Disposition ergeben hat. Es wird fleißig weitergeforscht.

Denn einen Erfolg hat es ja auf jeden Fall: Mit jeder neuen Meldung setzt sich in unseren Köpfen die Selbstverständlichkeit durch, daß Verhalten weitgehend angeboren sei; da braucht es gar keinen wissenschaftlichen Beleg.

Verwendung von Steuergeldern für unsinnige Forschung? Weit gefehlt, denn diese Gelder können wir ja an anderer Stelle einsparen: Warum in Bildungssystem und Gesundheitswesen investieren, wenn die Gene uns bereits den Stempel „dumm/intelligent“ oder „schwach/kraftstrotzend“ qua Geburt aufgedrückt haben.

Bleibt nur zu wünschen, daß nicht genug „dumme“ Zwillinge geboren sind, die sich zu einer solchen Studie bereit erklären. Karin Rennenberg, Gen-ethisches Netzwerk, Berlin