■ Der Westen setzt in der Bosnienpolitik neue Prioritäten
: Hauptziel: Die Rettung der Nato

Wichtigste Aufgabe der westlichen Bosnienpolitik ist jetzt offenbar die Rettung der Nato. An zweiter Stelle steht die Vermeidung einer territorialen Ausweitung des Krieges. Erst danach kommt der Erhalt Bosnien-Herzegowinas, bis zum jüngsten Erfolg der Serben in Bihać erklärtermaßen oberstes Ziel aller internationalen Bemühungen. Washington macht aus dieser neuen Prioritätensetzung überhaupt keinen Hehl. Sie gilt auch in London, Paris und Bonn. Wenn Clinton am nächsten Montag beim KSZE-Gipfel in Budapest die Staats- und Regierungschefs der 15 Nato-Verbündeten trifft, soll sich die westliche Militärallianz der internationalen Öffentlichkeit als möglichst einig präsentieren. Zum Beweis ihrer Handlungsfähigkeit wird die Nato dann eventuell bereits in den nächsten Monaten die größte Militäroperation seit 1945 veranstalten – die Sicherung des Abzugs der Unprofor-Truppen aus Bosnien.

Das Ziel, Bosnien in seinen international anerkannten Grenzen zu erhalten, kann inzwischen getrost als Lippenbekenntnis abgeschrieben werden. Bei den morgigen Beratungen der fünf Außenminister der Kontaktgruppe (USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Rußland) geht es nur noch darum, ob diese Fiktion noch eine Weile aufrechterhalten wird. Washington und Bonn plädieren dafür – in der Hoffnung, die Regierung in Sarajevo für einen veränderten Plan zu gewinnen. Moskau ist für klare Sprache, die keinen Raum mehr für Illusionen läßt. Nicht zuletzt mit Blick auf die islamischen Staaten – werden sich London und Paris voraussichtlich der Linie Washingtons und Bonns anschließen.

Die Chancen, eine territoriale Ausweitung des Krieges zu verhindern, sind nach dem Versagen von Nato und UNO in Bihać eher gesunken. Die Erfolge der bosnischen und kroatischen Serben werden Präsident Milošević eher darin bestärken, nach einer Konsolidierungsphase und nach Aufhebung der Wirtschaftssanktionen auch im Kosovo mit militärischen Mitteln vollendete Tatsachen zu schaffen. Das könnte Albanien und Mazedonien in den Krieg ziehen. Umgekehrt werden aber auch die Muslime in Bosnien ihre Niederlage und ihren Verrat durch den Westen nicht akzeptieren. Die Gefahr einer Internationalisierung des Krieges durch eine stärkere Beteiligung von Kämpfern aus islamischen Staaten und durch bosnisch-muslimische „Terrorakte“ im Ausland ist heute größer als je zuvor seit April 1992. Ironischerweise dürfte just diese Entwicklung, für die sie durch ihre bisherige Politik den Nährboden geschaffen haben, den Mitgliedern der Nato in den kommenden Jahren zunehmend als Bedrohungsszenario und damit als Rechtfertigung für die weitere Existenz der weltlichen Militärallianz dienen. Andreas Zumach