Gegen die geheimen Verführer

Die Stiftung Warentest feiert heute ihren 30. Geburtstag / Seit 1964 werden die Verbraucher informiert, doch Grundsatzkritik am Konsum ist tabu  ■ Von Felix Berth

Das erste Heft der Stiftung Warentest aus dem April 1966 lieferte jedem Mann ein praktisches Argument, sich vor dem Einkauf zu drücken. Test – so hieß das Magazin schon damals – enthüllte auf Seite 15: „Männer werden von Hühnern leicht verführt. Frauen sind standhafter. Das haben westdeutsche Tester entlarvt. Jeder zweite Mann, der in einem Selbstbedienungsladen Geflügel findet, kauft es. Nur zwei von zehn Frauen erliegen dem Reiz von Hühnchen oder Hähnchen.“

Mag sein, daß diese behavioristische Supermarktpsychologie heute rührend wirkt. Da wird gezählt, befragt und prozentgerechnet, daß Pawlow seine Freude hätte. Wer nur fünf Minuten in einem „SB-Laden“ bleibt, gibt demnach „zwischen 40 Pfennig und 18,55 Mark“ aus. Wer länger bleibt, läßt – wer hätte das gedacht – laut Psychologen mehr Geld („11,81 bis 52,17 Mark“) im Laden. Und schließlich stellt Test fest: „Exakt: Frauen geben im Alleingang zehn Mark, vom Ehemann begleitet 15 Mark aus. Umsatzerhöhung durch Kinderwünsche wurde nicht gemessen.“

Diese Idee, möglichst „exakt zu messen“, blieb in der Psychologie ziemlich erfolglos. Die Produkttests und die Millionenauflage von Test dagegen haben die Konsumgewohnheiten in Westdeutschland erheblich verändert.

Heute feiert die Stiftung Warentest ihren 30. Geburtstag. Mit vier Millionen Mark aus Bundesmitteln ist sie 1964 in Berlin gegründet worden – ihr Vorbild waren Organisationen in den USA und Großbritannien. Nun war auch im besiegten und wiederaufgebauten Deutschland ein Problem entstanden, das zunächst Kulturkritiker beschäftigte. Es gab plötzlich zu viele Dinge in den Läden. Während im Ostteil Deutschlands drei Jahre nach dem Bau der Mauer die Regale noch immer leer waren, mußten die Westdeutschen mit dem Gegenteil fertig werden: „Ratlos stehen Käufer vor vollen Schaufenstern. Das Warenangebot wächst von Tag zu Tag. Es gibt heute 150 Nähmaschinenmarken, 80 verschiedene Staubsauger, 70 Heizkissen“, schrieb Test in seiner ersten Ausgabe. Der Verbraucher sollte lernen, Produkte zu vergleichen um sich – so die Hoffnung – gegen die „geheimen Verführer“ wehren zu können.

So geheim wie dieser damals wegweisende Buchtitel behauptete, waren sie gar nicht. Handel und Industrie wehrten sich heftig. Schon die allererste Nummer von Test sorgte für Ärger. Weil eine Nähmaschine von Quelle schlecht wegkam („schwere Maschine mit insgesamt mangelhaften Leistungen“), kam Versandhaus-Chef Gustav Schickedanz persönlich nach Berlin und forderte gerechtere Berichte.

Doch die Stiftung korrigierte nichts; der Quelle-Chef zog erfolglos ab. Wenige Ausgaben später versuchte es die Firma Marker mit einem Gerichtsverfahren. Bis hinauf zum Bundesgerichtshof erklärten deren Anwälte, Marker-Skibindungen seien besser als von Test behauptet. Wieder ohne Erfolg: Wohl oder übel mußten sich die Firmen mit der höchsrichterlich gestärkten Position der Verbraucherschützer abfinden. Häufig veränderten sie ihre Produkte, wenn sie mit „mangelhaft“ beurteilt wurden – die Erfolgsliste der Stiftung ist ziemlich lang: Die Angabe des Lichtschutzfaktors auf Sonnencremes geht in der Bundesrepublik auf Test zurück, aus der Wimperntusche verschwanden Arsen und Quecksilber, Wäscheschleudern bekamen eine Türverriegelung. Und schließlich gelang der Organisation sogar, den „geheimen Verführern“ eine Lüge nachzuweisen: beim „Knotentest“. Als die Stiftung 1973 das Werbeversprechen von Omo durch zehn Familien überprüfen ließ, wurden die geknoteten Handtücher keineswegs sauber. Stolz bilanziert Warentest: „Der Werbefeldzug wurde abgebrochen.“

Öko-Ideen dagegen zogen nur ganz langsam in die Testfragen ein. Und nie ging die Stiftung so weit, am Konsum zu zweifeln: „Es ist nicht Aufgabe der Stiftung, festzustellen, ob ein Produkt wünschenswert ist oder nicht“, sagt Johannes Hüttenrauch, scheidender Vorstand der Warentester. „Wir überprüfen nur, ob ein Produkt den Zweck erfüllt, für den es angeboten wird.“

Dieser Blick auf die schöne Welt der Waren ist eng. Was bei ihrer Herstellung geschieht, zählt nicht, wichtig ist nur, was Käufer mit ihnen anfangen können. Mittlerweile achten die Tester zwar darauf, wieviel Energie ein Wäschetrockner verbraucht, doch daß Jeans auch ohne Strom auf der Wäscheleine trocknen, interessiert sie nicht.

Hat die Stiftung Warentest Deutschland trotzdem verändert – möglicherweise mehr als die revolutionären 68er? Vorstand Hüttenrauch gefällt diese Frage: „Wir haben sicher viel langfristiger gewirkt als die 68er.“ So wie die Studenten den Professoren selbstbewußter gegenübergetreten seien, „so sind durch uns die Verbraucher selbstbewußter dem Handel gegenübergetreten“.