Gewinn-Explosion bei Hoechst

Die deutsche Chemieindustrie verdient wieder gut / Arbeitsplätze werden trotzdem in Deutschland weiter abgebaut / Grundstoffchemie wird immer mehr in Billiglohnländer verlagert  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Zur Zeit explodieren bei Hoechst nicht die Kessel, sondern die Gewinne. Ein Plus von 83 Prozent konnte der neue Chef des Frankfurter Chemiekonzerns Jürgen Dormann gestern für die ersten neun Monate vermelden. Bis zum Jahresende erwartet er mindestens zwei Milliarden Mark in der Kasse. Vor allem die Nachfrage aus dem Ausland kurbelt das Geschäft an.

Zufrieden aber ist Dormann trotzdem nicht: „Im Grunde haben wir uns gerade erst auf den Weg zu einem befriedigenden Ergebnis begeben.“ Trotz achtprozentigen Umsatzwachstums, einer Mengensteigerung von fünf Prozent und wachsenden Preisen müsse der Strukturwandel weitergehen – und das bedeutet noch mehr Entlassungen, vor allem in Deutschland. Etwa 10.000 seiner weltweit knapp 170.000 MitarbeiterInnen setzte Hoechst im letzten Jahr vor die Tür.

Die Tendenz in der Chemieindustrie ist eindeutig: Allen voran die drei IG-Farben-Nachfolger Hoechst, BASF und Bayer, die sich etwa 30 Prozent des deutschen Chemieumsatzes teilen, verlagern ihre Grundstoffherstellung ins Ausland. Zwar behauptet der Pressesprecher des Bundesarbeitgeberverbands Chemie, Burghard Jahn, daß die deutschen Konzerne auch anderswo nach deutschen Umweltvorschriften produzieren. Die Lohnkosten aber seien vor allem in den aufstrebenden Ländern Asiens so attraktiv, daß Lacke und einfache Kunststoffe zu einem großen Teil in dortigen Joint-venture- Betrieben zusammengemischt würden. 7,2 Milliarden Mark investierten die deutschen Chemiemischer im letzten Jahr im Ausland, 12,3 wurden hierzulande für neue Maschinen und Gebäude ausgegeben.

Nur High-Tech-Chemie könne die 59,86 Mark Durchschnittskosten pro Arbeitsstunde in Deutschland noch rechtfertigen, meint Jahn. „Weil sie der Intelligenz und des Wissens bedarf, bleibt die Forschung bisher überwiegend in den Industrieländern.“ Innovationen erwartet der Verbandssprecher vor allem von der Informations-, Solar- und Gentechnik. Bedarf an neuen Produkten sei vorhanden, wie die deutschen Entwicklungen von Flüssigkristallbildschirmen für Taschenrechner und Laptops oder die Gewichtshalbierung von Polyethylen bewiesen.

Auf dem Pestizidsektor gehen die Chemiefirmen immer mehr zu Kooperationen über. Weil die Entwicklungskosten für ein sogenanntes Pflanzenschutzmittel mit durchschnittlich 300 Millionen Mark veranschlagt werden und acht bis zehn Jahre daran gearbeitet wird, haben Hoechst und Schering vor kurzem das gemeinsame Unternehmen AgrEvo gegründet.