„Schöne Veranstaltung ohne Konsequenzen“

■ Wer zu Hause Mittel streicht wie Gesundheitsminister Seehofer darf nicht in Paris schön Wetter machen, meint Guido Vael aus dem Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe

taz: Mit welchen Erwartungen fliegen Sie als Mitglied der deutschen Delegation nach Paris?

Guido Vael: Das habe ich mich auch schon gefragt. Ich will dieses Treffen nicht von vornherein abqualifizieren, aber ich befürchte, es wird eine PR-Veranstaltung.

PR für wen?

Für die Regierungschefs. Ich habe gerade die Schlußerklärung gelesen, ein wunderschöner Text, der aus tausend Selbstverständlichkeiten besteht. Die große Solidarität! Wenn man genau hinsieht, was die Regierungen konkret tun, sieht die Welt ganz anders aus, auch in Deutschland.

Die Konferenz soll diesen Zustand ja gerade ändern!

Genau daran glaube ich nicht. Sehen Sie sich die mittelfristige Finanzplanung bei uns an: Dort sind schon längst die Weichen für einen weiteren drastischen Abbau der Aids-Mittel gestellt. In dem Konferenzpapier wird jetzt festgestellt, daß Aufklärung, Information und Versorgung, also Primär- und Sekundärprävention, untrennbar sind. Die Bundesregierung gibt genau das gegenteilige Signal und sagt der Aids-Hilfe, ihr dürft nur noch Primärprävention machen.

Man ist nicht bereit, die Problematik im eigenen Land anzugehen. Ich denke an die Drogenpolitik, an die unterlassene Spritzen- und Kondomvergabe in Gefängnissen, an halbherzige Methadonprogramme, an die Frage Heroin auf Krankenschein. Alles emotionale Themen, die nicht angegangen werden. Man nimmt in Kauf, daß sich Menschen infizieren und elend zugrunde gehen.

In Paris geht es um die internationale Lage, vor allem die Katastrophe in Asien und Afrika. Können die reichen Länder helfen?

Wir müssen uns fragen, was Aufklärung nützt, wenn nicht gleichzeitig Analphabetismus und soziales Elend bekämpft werden. Wir brauchen ein generelles Umdenken in der Entwicklungshilfe. Es wird gerne über Sex-Tourismus und Prostitution von Kindern und Jugendlichen in den armen Ländern geredet, und die Bundesregierung erweitert dann ihr Strafrecht außerhalb ihrer Grenzen, damit Deutsche, die in solchen Ländern Sex mit Jugendlichen haben, nach deutschem Recht bestraft werden. Kein Mensch weist darauf hin, daß die Prostitution Ausdruck der sozialen Not ist. Erst wenn diese Not beseitigt wird, müssen sich die Kinder nicht mehr prostituieren.

Kann die Pariser Konferenz zumindest einen Schritt nach vorn tun? Konkret: Werden sich die Industrienationen zur Finanzierung von Aids-Projekten und Hilfsprogrammen verpflichten?

Zusagen zu finanziellen Mitteln kenne ich nicht. In der Erklärung heißt es nur „wir erklären uns bereit“. Ich fürchte, daß es bei solchen Allgemeinheiten bleibt. Dann hatten wir eine schöne Großveranstaltung mit prima Erklärungen, aber ohne Konsequenzen.

Vielleicht hilft das Treffen, die große Aids-Krise in Afrika und Asien zumindest wahrzunehmen?

Die Mehrheit der Bevölkerung nimmt Aids nicht wahr, weil diese Krankheit für sie kein Gesicht hat. Das ist auch bei uns so, wo das Problem allenfalls in den Metropolen präsent ist. Die meisten haben keinen HIV-Positiven zum Anfassen, und sie haben noch keinen Menschen an Aids sterben sehen. Das ist makaber, aber so ist es.

Aber Paris wird für ein großes Medienspektakel sorgen.

Es ist protokollarisch sehr hoch aufgehängt. Butros Ghali wird reden, Balladur, Simone Veil. Dann speist man im Außenministerium. Irgendwann wird die Erklärung verabschiedet, und der Tag ist gelaufen. Es gibt sicher ein Presseecho, aber was wird umgesetzt?

Was werden Sie Herrn Seehofer sagen, wenn er in Paris seine Betroffenheit ausdrückt und zu Hause die Aids-Hilfe kürzt?

Ich werde ihn auf diese Widersprüche hinweisen. Dazu gehört auch die Streichung der Fördermittel für den internationalen Bereich. Das ist auch so ein Witz. Das Ministerium hat diesen Bereich gekürzt, und deshalb haben wir das „Eurocaso“-Büro, ein europaweiter Zusammenschluß der Aids- Hilfen, bei uns in Berlin verloren. Es sitzt jetzt in Amsterdam. Diese Zusammenarbeit ist extrem wichtig, um in Polen, Estland oder Rußland zu helfen. Dort ist nicht die Dritte Welt, aber es fehlt genauso an allen Ecken und Kanten. Interview: Manfred Kriener